Fehlstart

Boeing 727 DeltaTrotz all der Unsicherheiten, die ein 10% – Flug mit sich bringt, versucht man, seine Chancen durch allerlei Tricks zu verbessern. Wir hatten vor, nach Athen zu fliegen und Kultururlaub zu machen. Nach Athen geht normal eine Boeing 727, also eine recht kleine Maschine mit geringer Kapazität. Es gab da allerdings noch eine andere Möglichkeit, eine DC10-30 ging nach Bombay, mit Zwischenstopp in Athen, zumindest auf dem Hinflug. Von Bombay nach Frankfurt ging dieser Flug direkt. Aber der Rückflug ist weniger kritisch, dann ist der Urlaub eh vorbei.

Also buchten wir so, um unsere Chancen bei dieser größeren Maschine zu erhöhen. Am Gate wurde uns dann mitgeteilt, die Maschine ist nicht voll, wir werden wohl mitkommen. Und so war es dann auch.
Wir sind drin, die Türen sind zu. Wir rollen zur Startbahn, die 25 Rechts.

Die Triebwerke werden lauter, die Maschine beschleunigt, kurz vorm Abheben knallt unser Pilot das Bugrad auf die Bahn und bremst wie der Teufel. Das ein Flieger so stark bremsen kann, war mir nicht klar. Mein Kopf schlug auf die Rückenlehne des Vordersitzes, dagegen war nichts zu machen. Allen an Bord ging es so. Wir wurden schnell langsamer und kamen dann auf der Bahn zum Stehen.

Der Kapitän meldete sich und merkte an, es hätte ein Lämpchen aufgeleuchtet, das beim Start nicht leuchten sollte, deshalb wolle er erst mal nachschauen, was da los ist. Wir standen auf der Bahn.

Plötzlich wurde es laut. Die Maschine, die nach unserem Start landen sollte donnerte über uns hinweg. Ihre Triebwerke liefen auf 100% und der Schall traf uns genau.

Für den Tower, so stellte ich mir vor, war jetzt höchste Konzentration angesagt. Eine Bahn war blockiert und alles geriet durcheinander. Die ganze Planung für Start und Landungen musste neu gemacht werden.
Aus meinen Gedanken riss mich die Feuerwehr, die jetzt längsseits ging. Mehr als nur ein Lämpchen, dachte ich.

Mir fiel auf, die Triebwerke laufen ja noch.

Unter Begleitung von zwei großen Löschzügen rollten wir jetzt langsam von der Bahn runter. Unser Ziel war die Halle der Lufthansa – Technik, vor der wir dann parkten. Treppen wurden angestellt und die Türen gingen auf. Ein Techniker ging ins Cockpit.

Nach einer Weile wurde angekündigt, dass wir während der Wartezeit mit Getränken versorgt werden würden. Also was Längeres. Da ich einen Fensterplatz hatte, konnte ich die Techniker herumwuseln sehen. Da, das war doch Claude, ein Techniker, den ich aus der Zeit in Kelsterbach gut kannte.

Leider konnte ich die Maschine nicht verlassen, die Flugbegleiterinnen versperrten jeden Ausgang. Dann der Kapitän, das Lämpchen hätte zu Recht geleuchtet, es gäbe ein kleines technisches Problem, das aber hier vor Ort behoben werden könnte, wir sollten die Zeit an Bord genießen. Dann der Purser, es gäbe hier am Boden das Mittagessen.

Als es mal ruhig war, fragte ich eine Stewardess, ob ich mal mit dem Kapitän reden dürfe. Dank des Dienstausweises, wollte sie zumindest mal nachfragen. Sie kam lächelnd zurück und bejahte meine Anfrage.

Den Kapitän bat ich dann nur darum, die Mühle mal kurz verlassen zu dürfen, ich hätte einen Freund unter den Technikern erkannt und wolle ihm Guten Tag sagen. Das wurde gestattet und ich befand mich kurz später auf dem Vorfeld.

Ich fand Claude auf einer Leiter oben am mittleren Triebwerk. Die Triebwerksabdeckklappen waren geöffnet und Claude hing halb drin. Als er dann endlich mal runter stieg, erkannte er mich sofort und fragte wie sei ich denn hier rein gekommen. Nicht rein, sagte ich, runter, aus der Maschine.

Mann, dann hast du ja heute Geburtstag, meinte er, und einen super Kapitän. Er erklärte mir, was beim Start passiert war. Bei voller Leistung hatte das obere Triebwerk den Umkehrschub aktiviert. Hätte der Kapitän nicht so beherzt den Start abgebrochen, wir hätten einen perfekten Crash hingelegt, denn mit zwei schiebenden und einem ziehenden Triebwerk ist ein Start nicht möglich.

Meine Gesichtsfarbe veränderte sich ins Hellere. Claude mahnte mich noch, vor der Landung niemanden davon zu erzählen, Ehrenwort.

Nach zwei Stunden, die Reparatur war erfolgreich verlaufen, sagte der Kapitän, rollten wir wieder zum Start. Ich war der einsamste Mensch an Bord, der mit richtig den Hosen voll.

Der Start und der Flug nach Athen verlief normal. Ich brauchte noch zwei Tage, bevor ich meiner Frau vom Gespräch mit Claude erzählte.

Ein Flug in die Unterwelt, oder 26 Stunden in Caroll Cave

Irgendwie hat die Fliegerei bzw. die Luftfahrt mir eines der schönsten und ereignisreichsten Abenteuer eingebracht. Mein Freund Mike aus Nebraska, der frühere Physiklehrer aus der Schule in der ich als Austauschschüler ein Jahr verlebte, hatte während einer meiner Besuche in Nebraska angeregt, dass wir doch noch einmal eine Höhlenfahrt in die Carroll Cave in Zentral-Missouri unternehmen sollten. Diese Höhle hatten wir schon zweimal während der vorangegangenen Jahre anlässlich von Besuchen in den USA meinerseits unternommen. Da es völlig unmöglich ist, zu dieser Höhle von Nebraska aus für ein verlängertes Wochenende mit dem Auto zu fahren (es ist einfach zu weit), war es Mike gewesen, der es jeweils arrangiert hatte, dorthin zu fliegen, um Zeit zu sparen. So wurde ein „Flug in die Unterwelt“ Wirklichkeit!

Als Aviation-Freak scheint es etwas eigenartig, ab und zu das genaue Gegenteil zu Fliegerei zu tun, in die „Unterwelt“ hinunter zu steigen. Aber irgendwie hatte ich mich nicht nur mit dem „Aviation-Bazillus“ infiziert, sondern auch mit dem „Hoefo-Bazillus“! Ich war einige Jahre nach meinem Austausch einem Höhlenforscherverein beigetreten und hatte viel Spaß an der Speläologie, wie die Höhlenforschung bezeichnet wird. Und was gibt es besseres, als zu einer Höhlenfahrt zu fliegen!

Es ist 15:30 am Sonntag Nachmittag. Wir sind endlich am Höhleneingang der Caroll Cave angekommen, nach einem Flug von eineinhalb Stunden von Lincoln, Nebraska nach Camdenton in Missouri und einer Autofahrt (in einem Mietwagen) über die rollenden Hügel der Ozarks zum Höhleneingang. Unsere ganze Ausrüstung ist auf dem Erdboden gestapelt, und wir vier, nämlich Mike, Russell, Dale und ich, bereiten uns auf unsere Höhlenfahrt vor. Mike ist schon umgezogen und verpackt Schlafsäcke und trockene Klamotten in mehrere Schichten von Plastiktüten, damit sie auf dem Weg in die Höhle nicht nass werden.

Etwa die ersten 300 m der Höhle sind eine enge Wasserstrecke, das Wasser wird uns bis zur Brust reichen. An zwei Stellen sogar bis zur Unterlippe, da es dort nur ca. 10 cm Luft bis zur Decke gibt. Sinnigerweise werden diese beiden Stellen auch noch „Neckbreakers“ genannt, also „Genickbrecher“! Nach einigen weiteren paar Dutzend Metern öffnet sich die Wasserstrecke dann in eine gigantische Halle, dem „Mountain Room“, wo wir heute Nacht biwakieren wollen. Aber erst einmal müssen wir durch die unangenehme Wasserstrecke und den ganzen Kram reinbringen. Und das Wasser ist nur etwa 8 Grad warm, und die Lufttemperatur in der Höhle ist kaum wärmer!

Da wir ja alle „harte Jungs“ sind, wird uns das nicht aufhalten! Um ehrlich zu sein, ich mogele ein bisschen, da ich aus Deutschland meinen Nasstaucheranzug mitgenommen habe, den ich auf nassen Höhlenfahrten dort benutze. Das ist ein leichter Neoprenanzug, der sich eng um den Körper legt, man wird zwar nass darin, aber nur ein dünner Film von Wasser entsteht zwischen Körper und Anzug und dieser erwärmt sich auf Körpertemperatur und schützt einem vor der Kälte des Wassers. Der Anzug ist viel leichter und dünner als normale Taucheranzüge, damit man sich in der Höhle ungehindert bewegen kann. Ich trage ihn unter meinem „Schlaz“, dem Höhlen-Overall. Unglücklicherweise haben die anderen drei keine solchen Anzüge, so planen wir möglichst schnell durch die unangenehmen Stellen zu kommen, ich muss dann die Beschimpfungen von den Dreien aushalten!

Endlich ist alles fertig. Es ist so viel Krempel mit zu schleifen, dass zwei von uns zwei Touren machen müssen, um alles in die große Halle zu kriegen. Natürlich bin ich einer davon, ein Münzwurf ergibt, dass Russ der Unglücksrabe ist, der es auch zweimal machen muss. Mike und Dale werden draußen warten, bis wir von unserem ersten Trip zurück sind. Es macht keinen Sinn, dass sie schon bei der ersten Tour mit reingehen und dann im Mountain Room warten und frieren!

Die Karbidlampen brennen, das Höhlentor ist offen, es kann losgehen. Zuerst ist das Wasser knietief, kein Problem. Bald verlieren wir das Tageslicht, da sich der Höhlengang nach links dreht. Nur unsere Karbidlampen spenden uns Licht, und wir müssen sicherstellen, dass sie es für die nächsten 24 Stunden tun! Verliert man das Licht in einer Höhle, kann man nichts tun als sich irgendwo hinzusetzen und darauf warten, dass einer mit Licht kommt und einen erlöst! In der absoluten Dunkelheit der Höhle ist es völlig unmöglich, sich zu orientieren geschweige denn bewegen, man trifft noch nicht einmal mit einem Finger den Finger der anderen Hand direkt vor der Nase. – Das Wasser wird tiefer! Ich fühle wie es in meinen Anzug rinnt, und es ist kaaalt!

Aber nach ein paar Sekunden merke ich, wie es sich in meinem Anzug erwärmt, es ist gar nicht mehr so schlimm. Der arme Russ, er muss leiden! So bewegen wir uns recht flott, um es bald hinter uns zu bringen. Glücklicherweise ist der Grund eben und es gibt keine Felsblöcke, so werden wir auch keine Probleme auf dem Rückweg nach draußen haben, wenn das ganze Wasser durch aufgewirbelten Schlamm trübe geworden ist. Und da ist der erste Neckbreaker! Ein grosser roter Pfeil an der Höhlendecke zeigt auf die beste Stelle. Und der Wasserstand ist anscheinend recht niedrig, es hat fast 30 cm Luft! Ich strecke mich im Wasser aus, schwimme, muss noch nicht einmal meinen Helm abnehmen. Es dauert etwa eine Minute, dann bin ich durch. Russ ist direkt hinter mir, nass bis zum Hals, aber er grinst. Das war die einfachste Überwindung dieser Stelle, wir waren ja schon zweimal vorher da. Aber – Neckbreaker Nummer 2 wartet noch vor uns. Es stellt sich heraus, dass er ein paar cm weniger Luft hat wie der Erste. Aber – wir schaffen es auch ohne Probleme.

Nach weiteren 100 m Waten im brusttiefen Wasser öffnet sich ein schwarzes Nichts vor uns: Mountain Room! Wenn man aus dem relativ engen Wassergang in diese riesige Halle kommt, ist es richtig überwältigemd. Unsere Lampen sind nicht stark genug, sie komplett auszuleuchten. Wir schätzen, dass sie an die 100 m lang ist, sicher 40 oder 50 m breit und an die 30 m hoch. Wir steigen aus dem Wasser auf eine lehmige Uferbank und sehen uns nach einem geeigneten Lagerplatz um. Bald finden wir einen: Der Fleck auf der linken Seite, etwa 12 m über dem Wasserspiegel, ziemlich eben und trocken, perfekt für das Biwak. Wir lassen alles, was wir tragen, dort fallen und machen uns auf den Rückweg, ins Wasser, durch die beiden Neckbreakers hinaus in das Sonnenlicht. Die Tour hat 40 Minuten gedauert, währenddessen Mike und Dale den Rest der Ausrüstung geordnet und vorbereitet haben.

Nachdem Russ und ich von unserer Tour und dem gefundenen Lagerplatz berichtet haben, belädt sich jeder mit einem Teil der restlichen Ausrüstung, wir brechen auf. Der Letzte verschließt das Gittertor von innen und stellt sicher, dass er den Schlüssel nicht verlieren wird! Es macht Russ und mir diebischen Spaß, nachdem wir uns schon an das kalte Wasser (mehr oder weniger) gewöhnt haben, den beiden anderen zuzuschauen und zu -hören! Das Wasser wird nur ganz langsam tiefer, so dauert die Qual eine Weile! Sie schreien und beschimpfen uns! Aber es hilft nichts, die Neckbreakers zwingen jeden ins Wasser, bis an die Ohren! Endlich sind wir alle im Mountain Room. Wir klettern auf unsere Plattform. Eine große Plastikplane gibt uns einen trockenen und halbwegs sauberen Fleck, wo wir Schlafsäcke ausbreiten, die trockenen Klamotten deponieren, einen Campingkocher aufstellen und die anderen Sachen für das Biwak ablegen können.

Bald ist das Biwak hergerichtet. Alle außer mir haben trockene Klamotten angezogen, fühlen sich warm und angenehm. Und allen brennt es unter den Nägeln, ein wenig die Umgebung zu erforschen. Wir steigen in die oberen Regionen vom Mountain Room hinauf, zwängen uns in einige Löcher, aber es gibt keine Fortsetzung hier oben. Es sieht so aus, als ob diese Riesen-Halle nur eine Fortsetzung hat: Den Hauptgang. So beschließen wir, ihm noch für eine Weile zu folgen. Es ist gerade mal sechs Uhr abends, wir haben alle Zeit der Welt!

Auf dem Weg hinunter zum Wasser bin ich der Erste, ich renne hinunter und werfe mich regelrecht ins Wasser! Das Herumlaufen und -klettern in einem Taucheranzug erhitzt einen dermaßen, man kann es fast nicht mehr aushalten! Aber im Wasser ist es angenehm kühl! Es erinnert mich an eine Reklame von Nestea, wo der Held im Sommer einen Eistee trinkt und sich rückwärts mit einem Seufzer in einen Swimmingpool fallen lässt. Die anderen 3 stehen auf der Uferbank und lachen mich aus. Sie wissen nicht, wie wunderschön es sich im 8 Grad kalten Wasser anfühlt!

Der Hauptgang der Carroll Cave ist unwahrscheinlich groß. Der Tunnel hat eine geschätzte durchschnittliche Breite von 10 bis 15 m und ungefähr dieselbe Höhe. Er windet sich hin und her, der Boden ist mit schokoladenfarbigem Lehm bedeckt, durch den sich der Höhlenfluss einen kleinen Kanal gegraben hat, den wir wiederholt überqueren müssen. Manchmal laufen wir über Fels und Geröll, welches der Fluss deponiert hat, dann wieder müssen wir uns durch weichen Lehm kämpfen, der bis zu den Knien reicht, eine ziemlich anstrengende Angelegenheit. Hin und wieder formt der Höhlenfluss kleine Tümpel, die ich in meinem Taucheranzug durchquere, froh über eine Abkühlung. Die Anderen umklettern den Tümpel derweilen entlang den Ufern oder über Versturzblöcke. Das Erste, was wir auf dieser Wanderung entdecken, ist, dass offenbar ein Vermessungstrupp von anderen Höhlenforschern aktiv gewesen sein muss, sie haben kleine Reflektoren auf Stäben in den Lehm gesteckt, alle 500 Fuß (etwa 165 m, hier in Amerika wird ja alles in Fuß und Meilen gerechnet) befindet sich einer. Das ist recht nett, so können wir abschätzen, wie weit wir vom Mountain Room aus vorgedrungen sind.

Wir erkennen bald, es dauert ungefähr 10 Minuten, um 500 Fuß weiter zu kommen. Auch zeigt es uns, dass man immer Entfernungen in einer Höhle überschätzt, da sich 500 Fuß wie 2000 Fuß anfühlen! Der Vermessungstrupp hat auch jeden Seitengang markiert, ungefähr alle 500 Fuß ist einer. Und dann – sehen wir einige Fische im Wasser! Das ist eine kleine Sensation, wir denken, wir sind schon 2000 oder gar 3000 Fuß (3000 Fuß wären ungefähr 1 km) vom Eingang der Höhle entfernt. Die Fische haben eine dunkle Farbe, fast schwarz, die kleinsten sind vielleicht 2 bis 3 cm lang, die größten vielleicht 25 cm. Dale und Mike versuchen, einen zu greifen, aber ohne Erfolg. Und vielleicht ist das auch keine so gute Idee, wir wollen uns gemäß dem Motto der Höhlenforscher verhalten, das da lautet: „Nimm nichts mit, schlag nichts tot, zerstöre nichts und hinterlasse nichts!“

Wir wundern uns, wie die Fische unsere Anwesenheit spüren können, da sie anscheinend keine Augen haben. Und wovon leben sie, fragen wir uns, es gibt keine Pflanzen im Wasser, und wir sehen keine anderen Tiere. Aber es muss wohl eine Nahrungsquelle geben, vielleicht mikroskopisch kleine Insekten oder andere Kreaturen, oder die Fische leben nur von gelösten organischen Materialien, die von der Oberfläche in die Höhle geschwemmt werden. Es ist schade, dass wir keinen Spezialisten unter uns haben, so können wir nur Vermutungen anstellen.

Inzwischen haben wir den 2500 Fuß Reflektor vom Mountain Room aus erreicht, wir überlegen, ob wir nicht umkehren sollten. Eine Öffnung zeigt sich in der linken Wand, wieder ein Seitengang! Irgend jemand äußert den Wunsch, doch noch „geschwind“ diesen Seitengang anzusehen, so ertappen wir uns wie wir uns plötzlich duckend und manchmal fast kriechend durch einen Gang, einen knappen Meter breit und eineinhalb Meter hoch, bewegen. Ein Reflektor am Eingang dieses Ganges besagte dass dieses „L-6“, wahrscheinlich Lead (Gang) 6, sei, möglicherweise der sechste Seitengang seit dem Mountain Room. Nach etwa 30 m kommen wir an eine Gabelung, wir gehen im linken Teil weiter. Eine Engstelle zwingt uns jetzt, wirklich zu kriechen, aber es geht. Nach einer weiteren Biegung des Ganges öffnet sich eine kleine Halle, die Wände bedeckt mit wunderschönem Sinterschmuck, wie Vorhänge sehen sie aus. Manche haben eine rostige, rote Farbe, andere sind vollständig weiß. Über uns setzt sich die Halle als Schacht fort, wir erhaschen ein paar Blicke in ein höheres Gangsystem, in dem weiterer Sinterschmuck vorhanden ist. Russ probiert, ob er hochklettern kann, aber die Wände der Halle sind überhängend, und ohne Seil und anderen Steighilfen ist diese Geschichte doch ein wenig gefährlich, wenn nicht unmöglich. Und außerdem wollen wir den Sinterschmuck nicht beschädigen oder verschmutzen. Es scheinen nur etwa 5 m Kletterstrecke zu sein.

Wir erleuchten den Eingang ins höhere System mit unseren 4 Lampen so gut wir können, wir möchten so viel wie möglich sehen. Es ist schwierig zu entscheiden, ob die Gänge da oben Neuland sind, d.h. dass vorher kein Mensch jemals dort eingedrungen ist. Hier unten gibt es natürlich jede Menge Spuren und Fußabdrücke im Lehm.

Schließlich fällt die Entscheidung, wir haben genug gesehen, es ist Zeit umzukehren. Als wir zur Gabelung zurückkehren, besteht Russ darauf, einen „Blick“ in den anderen Zweig zu werfen. Dieser setzt sich wie der Seitengang zwischen Gabelung und Hauptgang fort, eine Bückstrecke in etwa den gleichen Dimensionen. Sie windet sich hin und her, vor und zurück, vor und zurück. Es geht weiter und weiter, anscheinend ohne Ende! Schließlich setze ich mich auf den Boden und weigere mich, noch einen Schritt weiter zu gehen! Ich bin einem Hitzschlag nahe, da seit einer ganzen Weile kein Tümpel mir Abkühlung hat bringen können. Mike und Dale, die vor mir gehen, halten auch an. Russ ist noch nicht zufrieden, er will noch ein paar Minuten weitergehen, aber in Rufweite bleiben. Wir hören, wie er um die nächsten Biegungen schluft, und dann nach einer Minute oder so ruft er, dass seine Lampe aus ist und er sie nicht wieder anbekommt! Wie nett!

Dale eilt zu ihm und erreicht ihn nach ein paar Biegungen des Ganges. Zusammen arbeiten sie an seiner Lampe, aber sie geht trotzdem nicht. Wahrscheinlich braucht sie eine neue Füllung Karbid. Aber – wir haben das ganze Zeug, das wir auf diesem „Spaziergang“ mitgenommen haben, am Eingang von L-6 zurückgelassen! Russ muss also zwischen zwei anderen mit Licht laufen oder besser bücken und kriechen. Alles geht glatt, und 10 Minuten später sind wir wieder im Hauptgang. Hier arbeiten die 3 an ihren Lampen während ich mich in den nächsten Tümpel plumpsen lasse. Aahhhh!!

Alle Lampen brennen wieder ohne Probleme. Meine braucht auch noch gar keine neue Füllung Karbid, es ist eine spezielle Konstruktion, eine Fisma, die ich auch aus Deutschland mitgebracht habe. Sie benötigt eine Füllung etwa alle 8 Stunden, während die anderen schon nach etwa 4 Stunden ausgebrannt sind. Karbidlampen sind die beste Lichtquelle in einer Höhle. Sie brennen länger und produzieren ein helleres und wärmeres Licht als elektrische (Taschen-) Lampen und brauchen nur eine Handvoll Karbid und Wasser. Und wer wollte sich schon mit mehreren Sätzen von Batterien auf einer solchen Höhlenfahrt plagen, von den Kosten ganz zu schweigen. Heutzutage ist die Situation ein wenig anders, mit der LED-Technologie und den leichten und leistungsstärkeren Akkus, die es inzwischen gibt.

Wir sind zurück in unserem Biwak. Es ist viertel nach acht Uhr abends, wir sind auf einem Hieb von unserem Abenteuer in L-6 hierher zurück marschiert. Mike spielt Koch, er schüttet ein paar Dosen Rindfleisch-Eintopf in einen großen Topf und stellt diesen auf unseren Campingkocher. Russ und Dale sind in ihren Schlafsäcken, quatschen und trinken ein Dosenbier währen ich mich immer noch mit meinem Taucheranzug herumquäle und ihn auszuziehen versuche. Es ist die reinste Tortur! Schließlich schaffe ich es irgendwie, gerade rechtzeitig, als das Essen fertig ist. Rindfleisch-Eintopf mit Crackers und Bier, kein vornehmes Essen in einem Hilton Hotel könnte uns jetzt besser schmecken! Ein paar Lollies gibt es zum Nachtisch.

Bald ist jeder in seinem Schlafsack, warm und bequem. Eine riesen Diskussion beginnt, wer nun den Abwasch machen soll. Es würde bedeuten: Aus dem warmen Schlafsack in die klamme Höhlenluft steigen, zum Fluss hinunter stapfen, die Teller und Töpfe ausspülen. Jedes Mal, wenn wir einen ausgucken, hat derjenige ganz gewichtige Argumente gegen seinen Einsatz vorzubringen, so bleibt das Geschirr schließlich ungespült …

Echo

Alle Lampen sind aus, nur eine Kerze haben wir brennen lassen. Sie erleuchtet kaum die Höhlendecke vom Mountain Room. Und dann – sehen wir ein paar Fledermäuse, die uns umkreisen und über uns hinweg fliegen. Es mögen vielleicht ein Dutzend sein. Sie belästigen uns aber nicht. Fledermäuse sind sehr interessante Tiere. In der Höhle, in totaler Dunkelheit, müssen sie komplett „nach Instrumenten“ fliegen. Sie benutzen ihr Sonar-Orientierungssystem, sie stoßen ultra hohe Töne aus, die dann von den Höhlenwänden und Hindernissen reflektiert werden. Durch das Echo können die Fledermäuse erkennen, was vor ihnen und um sie herum vorhanden ist. Sie stoßen so gut wie niemals an, auch nicht an andere Fledermäuse oder herumlaufenden Höhlenforschern! Und die ganzen Horrorgeschichten über Fledermäuse sind einfach nicht wahr, sie sind kleine und nützliche Tiere, die des Nachts, wenn sie aus ihren Höhlen oder sonstigen Quartieren kommen, nach Käfern und Insekten jagen. Und ihre Flugkünste sind einfach faszinierend.

Über solchen Themen wird jeder bald müde und schläft ein. Als ich einmal aufwache, ist es stockdunkel! Ab und zu höre ich irgendwo einen Tropfen fallen, oder ein leises Plätschern vom Fluss unter uns. Wie spät ist es? Ich schaue auf meine Armbanduhr: Es ist 5 Uhr morgens.

Ich zünde ein paar Kerzen an und wecke dann die anderen. Eigentlich hatten wir schon um 4 Uhr aufstehen wollen, damit wir reichlich Zeit für unsere große Tour tiefer in die Höhle haben. Alle haben halbwegs gut geschlafen, nur Dale hat des Nachts ein wenig gefroren. Bald ist das Frühstück fertig, bestehend aus übrig gebliebenem Rindfleisch-Eintopf von gestern und heißer Schokolade. Ein paar Minuten im warmen Schlafsack fühlen sich dann richtig gut an. Aber dann müssen wir loslegen, wenn wir heute noch etwas erreichen wollen. Das Schlimmste kommt zuerst: In die nassen und lehmigen Höhlenklamotten steigen! Alle schreien und schimpfen, wir fragen uns, warum wir uns nur so eine dämliche Tortur antun. Mein Taucheranzug ist nass und kalt, uuaaahhhh!! Aber schließlich sind die Klamotten angezogen und haben sich aufgewärmt.

Ich sammle alle Karbidlampen und stapfe zum Fluss hinunter, um sie mit frischem Karbid und Wasser zu füllen. Das verbrauchte Karbid kommt in Plastiktüten, die dann mit dem anderen Kram aus der Höhle getragen werden müssen. Eine der Hauptsünden in einer Höhle ist es, sich nicht um die empfindliche Umwelt einer Höhle zu kümmern und das verbrauchte Karbid einfach irgendwo liegen zu lassen. Dort gammelt es dann für Jahre, Jahrhunderte oder gar -tausende vor sich hin!

Während ich auf der Uferbank sitze, höre ich ein eigenartiges Geräusch aus der Wasserstrecke, die zu den Neckbreakers und dann nach draußen führt. Und dann sehe ich: Es kommen Dutzende von Fledermäusen zurück in die Höhle, nein Hunderte! So etwas habe ich noch nie gesehen! Sie schwirren um mich herum und es kommen immer noch mehr! Sie fliegen den Hauptgang hinauf, und während sie vorbei fliegen, höre ich diese komischen klickenden und schnarrenden Geräusche. Aber keine Fledermaus stößt mich an! Für etliche Minuten schaue ich und staune, ich wünschte nur ich hätte eine Filmkamera mit Bild und Ton. Bald werden es weniger, der Hauptschwung muss nun durch sein. Ich weiß nicht, wie viele es waren, es müssen tausende gewesen sein.

Das Biwak ist abgebrochen, das Gepäck ist schon zum Transport aus der Höhle vorbereitet. Aber erst wollen wir unsere große Tour tiefer in die Höhle machen. Mitzunehmen sind etliche Dinge: Genug Vorrat an Karbid, Wasser wird der Fluss bieten. Dann brauchen wir Plastiktüten für verbrauchtes Karbid und weiteren Müll, eine Menge Schokoriegel, eine wasserdichte Munitionskiste für Kamera und Blitzgerät, Ersatzteile und Werkzeug für die Lampen, eine Tube Klebstoff zum Abdichten von Lampenbrennern usw. Jeder nimmt einen Teil des Gepäcks. Der Schleifsack, den ich auch aus Deutschland mitgebracht habe, kommt jetzt richtig gut.

Bevor wir losziehen, stellt jeder sicher, dass seine Lampe tut, dass das elektrische Notlicht funktioniert und dass das allerletzte Notlicht, ein chemischer Leuchtstab, sicher in der Brusttasche verstaut ist. Alles ist in Ordnung, wir sind unterwegs. Wir gehen den Hauptgang hinauf, uns inzwischen wohl bekannt. Wir schaffen den Weg zur Abzweigung von L-6 in einer halben Stunde. Bald nach dieser Abzweigung, wo wir gestern ja umgedreht hatten, wird das Gehen immer schwieriger. Der Lehm auf dem Boden ist sehr weich, klebrig, manchmal mehrere Fuss tief. Er saugt! Er hat die Konsistenz und auch die Farbe von Nougat, schmeckt aber sicher nicht so gut! Der Fluss fängt an, zwischen den Höhlenwänden hin und her zu mäandrieren, und bei jedem Mäander muss man in das recht schmale Flussbett, welches er in den Lehm gegraben hat, hinuntersteigen, hindurch waten, und dann auf der anderen Seite durch den tiefen, weichen Lehm wieder heraus steigen. Es ist unwahrscheinlich anstrengend! Nach der nächsten Biegung hängt eine Strickleiter aus einem Loch in der Höhlendecke heraus. Diese Leiter, so wissen wir von Freunden, die die Höhle gut kennen, führt in ein höheres Stockwerk, welches mit einer Abzweigung weiter hinten verbunden ist. Aber wir bleiben unten im Hauptgang, zusammen mit dem Höhlenfluss.

Wieder eine halbe Stunde später kommen wir zur „Crystal Junction“. Hier scheint der Hauptgang eine scharfe Wendung nach links zu machen. Wir wissen, das führt zum „Crystal Room“ einige tausend Fuss weiter. Aber da wollen wir heute nicht hin, es ist ausserdem eine Täuschung, der wahre Hauptgang geht geradeaus weiter, obwohl der Fluss aus dem Hauptgang kleiner erscheint als derjenige, der aus dem Gang vom Crystal Room kommt.

Nach ein paar Bildern (und ein wenig Abkühlung im nächsten Tümpel) gehen wir also geradeaus weiter. Das Gehen wird wieder leichter, da der nun etwas kleiner gewordene Höhlenfluss offenbar nicht so viel Lehm deponiert hat. Auch ist der Lehm jetzt härter, aber immer noch so braun wie normale Schokolade! Das Wasser hat einen perfekten Kanal in den Lehm gegraben, fast einen Meter breit, und er mäandert weiter von Höhlenwand zu Höhlenwand. Der Hauptgang ist jetzt auch ein wenig niedriger geworden, aber immer noch so an die 8 bis 10 m breit und auch genauso hoch. Und dann kommen wir in eine Gegend mit vielen Tropfsteinen!

Die Wände sind bedeckt mit Sinterformationen, die in unseren Lichtern glitzern, sie enthalten alle Farben von tiefem Schokoladenbraun, dann Rot bis zu einem brillianten Weiss. Von der Decke hängen tausende „Makaronies“, so wie diese dünnen und zerbrechlichen Stalaktiten genannt werden. Sie haben einen Durchmesser von einem Wassertropfen und eine Länge von bis zu einem Meter oder manchmal mehr. Sie sind alle unberührt. Ich habe schon Höhlen gesehen, in denen solche Makaroni-Wälder von Vandalen völlig zerstört waren!

Dann entdecke ich einige Excentriques! Das sind ganz feine Stalaktiten, die nicht der Schwerkraft folgen und nach unten wachsen, sondern kreuz und quer in alle Richtungen. Auch von ihnen muss es hunderte geben. Was für ein Anblick!

Eine Menge der Makaronies ist schief, in Richtung des Hauptganges geneigt. Anscheinend bläst öfters ein stärkerer Höhlenwind den Gang entlang, der dieses schiefe Wachstum hervorruft. Beim Weitergehen erscheinen immer wieder neue Tropfsteine und Sinterformationen. Und auch weitere Excentriques. Es ist schon komisch, bei uns daheim in Deutschland ist es schon eine Sensation, wenn wir einen Excentriqe in einer Höhle entdecken, und hier hat es so viele davon!

Die Strecke der Tropfsteine dauert vielleicht hundert Meter. Danach erscheint der Gang wie zuvor: Gelb-braune Wände, der Boden bedeckt mit dunklem, schokoladefarbigem Lehm und der mäandrierende Kanal des Höhlenflusses. Der Lehm wird wieder klebriger! Nach ein paar weiteren Biegungen erreichen wir die „Y-Junction“, eine größere Halle mit einem Seitengang nach rechts, der, wie wir wissen, als oberes Stockwerk und etwas mühsam zu begehen, zur Strickleiter zurück führt. Ein Reflektor an der Wand besagt, dass wir jetzt 6500 Fuß, also mehr als 2 km, vom Mountain Room entfernt sind! Wir haben eineinhalb Stunden gebraucht, um hierher zu kommen. Der Hauptgang geht nach links weiter, nun ein wenig anders wie zuvor. Der Boden ist öfters bedeckt mit Versturz und Geröll, über das wir klettern müssen. Große Haufen von Fledermausguano weisen darauf hin, dass wir in eine Gegend kommen, in der die Fledermäuse ihre Schlafplätze oder gar ihr Winterquartier haben. Und da sind sie – wir entdecken einen Haufen von ihnen, die an der Decke hängen. Sie fühlen sich offenbar durch unser Licht gestört und beginnen weg zu fliegen. Es müssen ein paar Hundert von ihnen auf einem Haufen sein, der noch nicht einmal einen Quadratmeter groß ist. Wir können sie ärgerlich über die Störung quieken hören.

Der Hauptgang geht weiter und weiter, manchmal waten wir wieder im Fluss, manchmal klettern wir über Versturzhalden. Und dann wird der Gang enger und die Decke senkt sich. Wir können uns an diese Stelle von einer der früheren Höhlentouren in die Carroll Cave erinnern: Wir müssen wieder ins Wasser, mit etwa einem Fuß Luft zur Decke. Die Länge dieser Stelle beträgt etwa 60 m. Das Unangenehme an dieser Stelle ist, dass es versunkene Stalagmiten im Wasser hat, es ist etwa hüfttief, und wenn der Erste den Schlamm und Lehm im Wasser aufgewirbelt hat, sieht man sie nicht mehr und rennt sich seine edlen und unedlen Teile an ihnen an! Das macht wirklich keinen Spaß! Dieses ist kein weiterer Neckbreaker, sondern ein Crotchbreaker, das könnte man mit „in den Schritt Hauer“ übersetzen! Ich gehe als erster, fühle langsam meinen Weg, versuche die versunkenen Stalagmiten zu orten und die anderen zu warnen. Auch hier ist das Wasser recht niedrig, mit mehr Luft zur Decke als wir erwartet haben. Fünf Minuten später sind alle durch und auf der anderen Seite.

Wir sind wieder im Hauptgang, das Gehen ist leichter. Wieder hat es viele Tropfsteine, in allen Farben und Formen. Es ist schon fast zuviel, um alles zu erfassen! Markierungen aus Plastikband wurden von den Höhlenforschern vor uns ausgelegt, um jeden Höhlenbesucher zu zwingen, die wunderschönem, weißen Tropfsteine nicht zu verschmutzen. Der Hauptgang ist wieder sehr großräumig, allerdings mit vielen Versturzhalden. Auf der linken Seite öffnet sich ein weiterer Seitengang, irgend jemand hat mit einer Karbidflamme „Maped Log“ auf eine Lehmbank geschrieben. Und dann kommen wir an das kleine Loch rechts in der Wand.

Wir erkennen und erinnern uns gut an diese Stelle. Es ist die einzige Verbindung, die wir kennen, zum „Thunder River System“, welches den Hauptgang der Carroll Cave unterquert. Wir werfen einen kurzen Blick in die Fortsetzung des Hauptganges, er führt groß und breit weiter in die Dunkelheit. Wir aber drehen um und schlüpfen in das kleine Loch, denn der Thunder River war es, den wir besuchen wollten. Das Loch beginnt als relativ enger, aber nicht extremer Schluf. Es erinnert ein wenig an unser Abenteuer bei L-6. Es geht ziemlich steil abwärts. Nach ein paar Minuten Kriechen und Bücken hören wir ein Rumpeln: Der Thunder River! Dann öffnet sich der Schluf in einen neuen, großen Höhlengang, mit einem Fluß, der von links nach rechts fließt. Die Wände haben eine rötliche Farbe, und der Fluss ist viel größer wie der Höhlenfluss im Hauptgang über uns! Von rechts kommt das Rumpeln, das ist Thunder Falls! Wir machen eine Markierung in die Lehmbank, damit wir den Eingang zu unserem Schluf wieder finden, dann folgen wir dem Fluss abwärts und kommen bald an den Wasserfall. Der Gang öffnet sich zu einer großen Halle, das Wasser fließt über eine Stufe und fällt etwa 3 Meter tief. Auf der linken Seite führt ein weiterer Schluf zum unteren Teil der Halle. Ein Seil ist an einem Fels befestigt und hilft beim Abstieg. Dann können wir den Wasserfall von unten betrachten. Es ist großartig. Mike und Dale waten über den Tümpel, in den das Wasser fällt und versuchen, sich ganz nahe an den Wasserfall zu stellen, während ich einige Bilder von ihnen schieße. Wir müssen schreien, um uns zu verständigen. Das Wasser im Tümpel ist an manchen Stellen sehr tief und durch das fallende Wasser ziemlich aufgewühlt. Besser nicht hineinfallen!

Nachdem jeder ausgiebig den Fall und die Halle betrachtet hat, gehen wir noch ein wenig weiter flussabwärts. Das Wasser bleibt tief, der Gang dreht nach links und rechts, und dann hat es auch wieder Lehm und Schlamm! Es wird schlimmer und schlimmer, je weiter wir kommen. Schließlich drehen wir um, wir wollten ja sowieso dem Thunder River aufwärts folgen. Wir gehen zum Wasserfall zurück, klettern am Seil hinauf und durch den kurzen Schluf in den Gang oberhalb vom Wasserfall. Es ist jetzt 10 Uhr vormittags, Zeit für eine Pause. Nach den ganzen Eindrücken und der Anstrengung schmecken einige Schokoriegel wirklich gut. Und die meisten Lampen brauchen sowieso eine neue Füllung Karbid!

Eine halbe Stunde später machen wir uns wieder auf den Weg, jetzt flussaufwärts. Wir haben nun den Hauptgang der Carroll Cave unterquert und sind in für uns unbekanntem Terretorium. Thunder Falls war der weiteste Punkt, an den wir bei unseren früheren 2 Höhlentouren in diese Höhle gekommen waren. Thunder River ist groß, das Wasser fließt recht schnell. Gut, das heißt, es kann sich nicht so viel Lehm und Schlamm abgelagert haben! Manchmal ist das Wasser recht tief, aber es macht keinem mehr etwas aus. Und ich bin sowieso froh darüber, kann ich mich doch regelmäßig in meinem Taucheranzug abkühlen!

Auch der Thunder River mäandriert recht heftig. Er hat sich einen Kanal in den massiven Kalkstein gefressen. Im oberen Teil des Ganges sind die Mäander nicht so ausgeprägt, so versuchen wir, nun weiter oben weiter zu kommen und die eine oder andere Schlinge des Flusses abzuschneiden. Hier oben hat es wieder viele Tropfsteine. Seitengänge gehen nach beiden Seiten ab, aber wir bleiben im Flussgang. Man sollte bei der Sache bleiben, die man sich in einer Höhle vorgenommen hat. Nach eine Stunde Wandern wird das Flussbett recht eng und niedrig, der Fluss hat sich unter Kalkbänke eingeschnitten, so müssen wir ganz hoch in die oberen Regionen des Ganges klettern und eine Schlinge abschneiden, dann wieder hinunter ins Flussbett, das nach der Schlinge wieder auftaucht, und dann die ganze Prozedur von Neuem. Sehr, sehr anstrengend! An einer Stelle entfernt sich der obere Gangteil komplett vom Fluss, wir wandern durch einen großen Gang mit ebenen und trockenem Boden. Dann taucht der Fluss wieder auf, aber es hat einen ziemlicher Absturz zum Fluss hinunter, er ist fast senkrecht und sieht recht trickreich aus. Kommen wir da runter?

Wir können drüben erkennen, dass der Fluss auf der anderen Seite wieder unter Felsen verschwindet, der obere Gang geht drüben genauso groß weiter. Wie kommen wir aber nur da runter? Die Fortsetzung dort drüben sieht verlockend aus, aber sollen wir hier etwas riskieren? Mike und ich drehen um, gehen die ebene Gangstrecke zurück und versuchen unser Glück, dem Fluss durch die Mäander-Schlinge zu folgen. Es geht, genug Platz für die Köpfe! Halb watend, halb schwimmend kommen wir zu dem Punkt, wo oben Russ und Dale warten und auf uns hinunter schauen. Der Aufstieg zur Fortsetzung des großen Ganges auf der anderen Seite sieht genauso trickreich aus. Es scheint, als wolle der Fluss sich hier von dem großen, oberen Stockwerk entfernen. Es ist inzwischen 12 Uhr mittags geworden, wir sollten nicht mehr viel Zeit verbringen, wir müssen ja die ganze Strecke wieder zurück.

Wir einigen uns, dass Mike und ich noch für 15 Minuten dem Fluss aufwärts folgen werden, während Russ und Dale warten und ein wenig ausruhen wollen. Wenn wir nicht nach 45 Minuten zurück sind, wollen die Beiden uns nachkommen und nach uns schauen. Gesagt, getan! Mike und ich gehen also weiter. Mist, jetzt wird es aber wirklich schwierig! Der obere Teil des Ganges ist komplett verschwunden, der Flussgang hat etwa 2 Fuß Luft über dem Wasser bis zur Decke. Der Gang ist etwas mehr als 2 m breit und das Wasser ist sehr tief. Manchmal verlieren wir den Grund unter den Füßen und müssen schwimmen. Für mindestens 150 m geht das so weiter. Bisweilen ist der Gang wie ein Schlüsselloch ausgeformt. Wir stürmen jetzt vorwärts, wir wollen noch so viel wie möglich sehen! Dann ist da ein kleines Loch in der Decke, wir leuchten hinein und erhaschen einen Blick in einen weiteren, höheren und großen Höhlengang. Ist das der gleiche, große Gang von vorhin, oder ist es wieder ein neues, oberes System? Weitere Geheimnisse, die entdeckt werden wollen! Aber es soll nicht sein auf dieser Tour, so gehen wir noch ein Stück weiter. Der Flussgang bleibt noch eine Weile recht niedrig, dann wird er größer und höher und wieder größer und höher. Meine Güte! Das ist eine Höhle ohne Ende! Die Wände sind jetzt in einem brillianten Gelb und Rot, das Flussbett ist bedeckt mit Steinen in den gleichen Farben, manchmal vermischt mit einigen Tiefschwarzen. Es sieht alles so wunderbar aus. Weiter und weiter eilen wir, mehr wollen wir sehen! Der Fluss formt Tümpel, ja regelrechte Seen, die ziemlich lang sind, und in einem meine ich, kein Wasser mehr zu sehen! Ich stehe da, wie vom Donner gerührt, dann fällt ein Tropfen von der Decke, und dann sehe ich das Wasser! Ich begreife, dass das Wasser in diesem See so still und unbewegt ist, und auch so klar, dass man es kaum als Wasser erkennen kann!

Und dann hat es wieder Fische! Sie sind komplett weiß. 3 oder 4 davon schwimmen im See herum, die größten vielleicht 5 cm lang. Auch sie scheinen keine Augen zu haben. Meine Güte, wir sind jetzt vielleicht ein paar Kilometer tief in dieser Höhle, in einer völlig anderen Welt, und es hat Fische! Wir versuchen wieder einen zu greifen, auch sie vermeiden uns. Sie müssen uns fühlen. Ich schaue auf meine Uhr, noch ein paar Minuten übrig! So gehen wir noch ein Stück, der Gang wird noch größer! Der Fluss erscheint wieder mit seiner Strömung. Bei jeder Biegung nehmen wir uns vor: Nach der nächsten Biegung machen wir Schluss! Und dann entdecke ich, dass meine Armbanduhr steht! Wie nett!! Es waren garnicht ein paar Minuten übrig, die 15 Minuten müssen schon längst um sein! Sind wir 15 Minuten weg gewesen, oder 30 Minuten, oder gar eine Stunde?? Wir wissen es nicht. Wir drehen sofort um und rennen jetzt zurück, so gut es geht. Es ist nicht leicht, wir müssen aufpassen, dass wir nicht stolpern oder uns verletzen oder irgend etwas beschädigen. Wir erkennen jetzt, wie weit wir gegangen waren. Es scheint ewig zu dauern, bis wir an die Stelle kommen, wo Dale und Russ auf uns warten. Aber wir schaffen es, da sind sie! Gottseidank haben sie noch keine Suchaktion nach uns begonnen! Da ich die einzige wasserdichte Armbanduhr habe, können wir nur schätzen wie spät es nun wirklich ist. Wir meinen, es ist ein Uhr mittags. Wir sollten besser zurück gehen. Wie lange wird es dauern bis zum Mountain Room? Vielleicht 6 Stunden?? Und dann müssen wir alles zusammenpacken, aus der Höhle schaffen, uns umziehen, das Auto packen, zurück zum Camdenton Airport fahren, das Auto abgeben, den Flieger fertigmachen, nach Lincoln zurückfliegen, schaffen wir das bis Mitternacht??? So versinken die Geheimnisse vom oberen Thunder River hinter uns in der Dunkelheit …

Wieder zurück im Mountain Room. Wir haben uns, so gut es geht, auf dem Rückweg beeilt. Wir haben recht flott Thunder Falls erreicht, unseren Schluf gefunden und in den Hauptgang der Carroll Cave gekrochen. Noch einmal mussten wir Karbid wechseln, den Crotchbreaker durchqueren, es ging aber fix. Auf dem Rückweg habe ich noch ein paar Bilder gemacht, und wir haben eine kleine Abkürzung in der Crystal Junction Gegend entdeckt. Der letzte Kilometer war wirklich hart, der Lehm und Schlamm hat uns zugesetzt, er hat noch stärker gesaugt! Alle sind recht müde, als wir den Mountain Room erreichen. Bevor wir raus gehen, tragen wir uns ins Höhlenbuch ein, das in einem Kanister an einer Höhlenwand deponiert ist. Dann packen wir alles zusammen und machen uns auf den Weg nach draußen. Wir schließen Wetten ab, ob es draußen hell oder dunkel sein wird, ob das Wetter gut oder schlecht ist. Neckbreaker 2, dann Neckbreaker 1, kein Problem mehr für uns! Bald sehen wir Tageslicht, das in den Gang scheint. Tageslicht!!! Der Schlüssel zum Tor wurde nicht verloren, und das Schloss lässt sich öffnen! Wir sind draußen! Und es ist warm draußen, es ist heiß! Wir lassen das ganze Gepäck auf einem Stapel fallen und sehen uns an, müde, nass, verdreckt, aber happy! Wir haben’s geschafft! Das war eine der schönsten Touren, die wir je gemacht haben! Zwei von uns müssen nochmal rein, um den Rest Gepäck aus dem Mountain Room zu holen, die beiden anderen werden anfangen, die Dinge zu organisieren. Wir wissen nicht, dass es weitere Abenteuer und Aufregungen auf unserer Heimreise geben wird. Aber das ist eine andere Geschichte …

Teilnehmer des Fluges in die Unterwelt in die Carroll Cave, Missouri am 4. und 5. September 1977:
Mike Larson, Lincoln, Nebraska
Russell Copple, Alvo Nebraska
Dale Gerdes, Omaha, Nebraska
Jürgen Matthes, Karlsruhe, Deutschland

Eingestiegen: Sonntag, 4. September 1977, 16:30
Herausgekommen: Montag, 5. September 1977, 18:30.

Ein Loch