A-A-S, die drei Musketiere

Abfertigung
Abfertigung

Der Titel dieser Geschichte sieht wie ein Rätsel aus. Es wird sich allerdings im Laufe der Geschichte auflösen.

Es war in den frühen 80’er Jahren. Ich arbeitete als Radar-Controller im Karlsruher UAC, besser bekannt in der Luftfahrt als Rhein Control. In meiner Freizeit hatte ich (und habe immer noch) mehrere Hobbies neben meiner Frau und unserem Heim. Eines dieser Hobbies war und ist der Amateurfunk.

Seit 1979 habe ich eine Amateurfunk-Lizenz und bin bekannt als DF6OM. Es macht Spaß, vor der Funke zu sitzen und mit anderen Leuten auf der ganzen Welt reden zu können. Damals gab es noch keine Handys, kein Internet, Chat-Rooms, email, Facebook und all die anderen Spielereien, die heute üblich sind. Besonders Spaß hat die Beteiligung an einem täglichen Treffen einer Runde auf Kurzwelle gemacht, die sich „International Air Traffic Control Net“ nannte. Das war eine Gruppe von Leuten, die entweder bei der Flugsicherung beschäftigt waren, oder in anderen Bereichen der Luftfahrt, wie Piloten, Techniker, oder die einfach nur Interesse an der Luftfahrt hatten. Diese Gruppe wurde von Ernie, W1BFA, gegründet, einem pensionierten Wachleiter aus Maine, an der amerikanischen Ostküste. Ernie ist jeden Tag der Woche besonders früh aufgestanden und rief auf 14.277 Mhz, und dann sammelten sich immer 5, 6 oder 7 Teilnehmer, die über die ganze Welt verstreut waren und schwatzten, meistens über Luftfahrt. Einer war z.B. am Flughafen in Algier, ein anderer in Maastricht, wieder einer mitten in England, usw. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Ernie ist leider in der Zwischenzeit verstorben, aber noch immer trifft sich diese Gruppe jeden Tag um 12:00 Uhr UTC, inzwischen auf der Frequenz 14.279 Mhz.

Eines Tages nach dem Frühdienst, ich kam nach Hause und das Mittagessen war noch nicht fertig, schaltete ich meine Funke ein, die auf der Frequenz vom I-ATC Net stehengeblieben war. Ich hörte sofort einen unwahrscheinlichen Tumult auf der Welle. Ernie war da, ebenso Kamel, 7X2BK, der Funkfreund aus Algier, neben einigen anderen. Sie riefen ununterbrochen „cq Japan, cq Japan …“, was bedeutete, sie wollten einen Kontakt mit irgend einer Station aus Japan haben. Aber – kein Japaner schien sie zu hören. Nun – die Kurzwelle ist eine ziemlich launische Dame, manchmal ist sie in guter Stimmung und man kann mit der ganzen Welt reden, mit einem nassen Daumen als Antenne. Und manchmal ist sie garstig und man kommt kaum nirgendwo hin. Das hängt von den Ausbreitungsbedingungen ab, die wiederum von der Sonnenaktivität, dem Sonnenstand, Tageszeit, Jahreszeit, Wetter und anderen Faktoren beeinflusst werden. Diese Bedingungen beeinflussen die reflektierenden Schichten in der Atmosphäre, die die Radiowellen auf die Erde zurückspiegeln, nachdem sie größere Entfernungen zurück gelegt haben.

Aber was in aller Welt ging da vor? Ich hörte eine Weile zu, dann bekam ich langsam mit, was da lief. Die Jungs wollten mit einer japanischen Station reden, weil sie nach einem ganz speziellen Medikament suchten, die es offenbar nur in Japan gab. Anscheinend hatte es in Jugoslawien einen Unfall gegeben, ein junges Mädchen hatte sich sehr schwer an der Wirbelsäule verletzt und wäre fast querschnittsgelähmt worden. Dieses Medikament war ein Stimulant für Nerven-Wachstum und -Regeneration, so wurde es für das Mädchen dringend benötigt. Ein Freund der Familie des Mädchens war Funkamateur, und er kannte das I-ATC Net, so bat er dort um Hilfe. Dort hatten sie den Namen des Medikaments herausgefunden und auch, dass es nur in Japan zur Verfügung stand.

Die Kurzwelle war weiterhin nicht in bester Laune, niemand aus Japan hörte die Rufe. Ein oder zweimal fiel der Name der Medizin, es klang so als hätte man einen solchen Namen schon einmal gehört. So wurde ich neugierig. Wir haben eine internationale Apotheke in Karlsruhe, so hängte ich mich ans Telefon und wollte dort wissen, ob sie von diesem Medikament schon einmal etwas gehört hätten. Einer netten Dame am Telefon erklärte ich, wer ich war und welche Umstände mich zu meiner Frage geführt hätten. Nach einer Weile sagte sie: „Im Übrigen haben wir eine Packung von diesem Medikament hier bei uns auf Lager, es wurde von einem Professor der Medizin für Studien bestellt, aber noch nicht abgeholt.

Ich wurde sehr aufgeregt, als ich das hörte. Auf meine Frage, ob sie das Medikament zur Verfügung stellen könnte, erwiderte sie dass sie dazu eine schriftliche Bestätigung über das Vorliegen eines internationalen medizinischen Notfalls benötigen würde. Dann würde sie es zur Verfügung stellen.

Da war ich nun. Was sollte ich jetzt unternehmen? Als erstes – musste ich mich auf dem I-ATC Net melden und berichten, was ich herausgefunden hatte. Auf der Kurzwelle riefen sie immer noch „cq Japan.“ In einer Sendepause meldete ich mich, nannte mein Rufzeichen und erzählte Kamel in Algier, der anscheinend die Aktion leitete, über das Medikament in der internationalen Apotheke in Karlsruhe. Auf der Stelle wendete die Aufregung sich mir zu! Man bat mich dringend, doch das Medikament zu besorgen und irgendwie einen Transport nach Jugoslawien zu organisieren.

Da war ich nun schon wieder. Wie geht es nun weiter? Ich sah zwei Aufgaben: Eine offizielle Bestätigung zu erhalten, und einen Transport zu organisieren. Und das Ganze recht schnell! Wie diese Probleme lösen? Als erstes – hängte ich mich wieder ans Telefon und rief nochmals die Apotheke an. Die nette Dame versprach, das Medikament für mich zurückzulegen, der Professor hätte schon eine Weile die Packung bei ihnen liegen lassen, so würde es ihm sicherlich nichts ausmachen, wenn er noch ein wenig auf eine neue Lieferung aus Japan warten müsste. Ich versprach, die offizielle Bestätigung umgehend zu besorgen.

Inzwischen hatte ich das Mittagessen komplett vergessen. Meine Frau Maria war mit im Zimmer, auch recht aufgeregt und hörte zu, wie die Dinge sich entwickelten. Ich musste nachdenken – wie geht es weiter. Ich entschied mich, die Rettungsleitstelle der Feuerwehr anzurufen.

Was dann geschah, war sehr frustrierend. Deren erste Frage war: „Wer sind sie überhaupt?“ Die nächste Aussage: „Da kann ja jeder kommen …!“ Nach langatmiger Erklärung – Amateurfunk, I-ATC Net, internationaler medizinischer Notfall, Bedarf einer Spezialmedizin, offizielle Bestätigung, Problem des Transports, war die Reaktion: „Dafür sind wir nicht zuständig, rufen Sie doch die Polizei an!“ Das tat ich dann auch.

Was dann geschah, war sehr frustrierend. Deren erste Frage war: „Wer sind sie überhaupt?“ Die nächste Aussage: „Da kann ja jeder kommen …!“ … habe ich das nicht gerade geschrieben. Es war genau so wie im vorigen Absatz! Die letzte Aussage: „… nicht zuständig. Rufen Sie das Rote Kreuz an!“ Das tat ich dann auch.

Was dann geschah, war sehr frustrierend. Deren erste Frage war: „Wer sind sie überhaupt?“ Die nächste Aussage: „Da kann ja jeder …!“ … … … „… nicht zuständig, rufen Sie die Feuerwehr an!“ Ich war drauf und dran, mir die Haare auszureißen.

In der Zwischenzeit plärrte meine Funke ununterbrochen, die Jungs wollten wissen, was sich tat. Ich hatte das Gefühl dass mir die Sache begann. aus den Fingern zu gleiten. So rief ich auf unserer UKW Frequenz nach irgend einem von unserem örtlichen Amateurfunk-Verein (dem A36), glücklicherweise meldete sich jemand. Ich bat um Hilfestellung, vor allem den Funkverkehr auf der Kurzwelle abzuwickeln, während ich weiter meine Telefonversuche durchführen wollte. Ich bekam die Hilfe und hatte den Rücken frei.

Als nächstes auf der Liste der zu versuchenden Anrufe war die Lufthansa. Dort hörte man mir wenigstens geduldig zu, aber es war trotzdem keine große Hilfe. Ich könnte zwar das Päckchen mit dem Medikament zur Lufthansa bringen, aber das müsste dann als VIC (very important cargo) deklariert werden, es wäre mit Kosten von mindestens DM 500.- verbunden. Ich müsste das Päckchen selbst nach Frankfurt bringen, von wo aus es dann weiterbefördert würde. Auch nicht sehr ermutigend. Wie geht ’s nun weiter??

Schließlich kam mir der Gedanke, meinen Dienst anzurufen. Dort erreichte ich Hans, den diensthabenden Wachleiter und gleichzeitig den Leiter meines eigenen Schichtteams. Er hörte sich geduldig meine Story an und sagte mir daraufhin:“ Jetzt setz’ dich hin und mach gar nichts mehr. Achte auf das Telefon. Ich werde sehen was ich tun kann, ich rufe dich, sobald es geht, zurück.“ So machte ich es dann.

Es dauerte vielleicht eine halbe Stunde. Während dieser Zeit meldete ich mich wieder auf der Kurzwelle und berichtete über die Entwicklungen. Schließlich klingelte das Telefon und Hans war dran. Er sagte mir: „Du setzt dich jetzt in dein Auto, fährst nach Karlsruhe und holst das Medikament aus der internationalen Apotheke. Die Dame ist informiert. Das nimmst du mit nach Hause. Du hast morgen dienstfrei. Du fährst in aller frühe nach Frankfurt zum Flughafen und meldest dich bei der Crew-Verwaltung der Lufthansa. Dort hinterlegst du das Päckchen für Kapitän soundso. Er fliegt morgen vormittag nach Belgrad, er muss dieses Päckchen mitnehmen und dort am Flughafen einer Verbindungsperson übergeben, die du mit den Partnern auf Kurzwelle noch ausmachen musst. Achte darauf, dass du eine Quittung bekommst, ebenso der Kapitän in Belgrad. Anschließend hast du frei, berichte mir dann im nächsten Dienst, wie es gelaufen ist!“ Ich war sprachlos!

So habe ich es dann durchgeführt. Ich meldete mich wieder auf Kurzwelle, informierte die Gruppe. Eine Verbindungsperson für Belgrad wurde ausgemacht. Dann fuhr ich nach Karlsruhe, die Dame gab mir tatsächlich da Medikament. Ich musste es bezahlen, ich meine es waren DM 50.- Am nächsten morgen ging es nach Frankfurt, das Päckchen wurde, wie vereinbart, übergeben. Und es hat tatsächlich Belgrad und das Mädchen erreicht!

Was war geschehen? Hans, als diensthabender Wachleiter von Rhein-Control hatte das SAR Center angerufen und die Sachlage geschildert. SAR hat dann die Lufthansa angerufen und sie aufgefordert, den Transport zu ermöglichen. Wenn SAR anruft, dann sagt offenbar jeder „… wird ausgeführt!“ SAR hat auch die Apotheke angerufen und später die Bestätigung veranlasst. So liefen alle Dinge urplötzlich wie geschmiert!

Unser örtlicher Amateurfunkverein hat die Kosten für das Medikament als Spende übernommen. Und eine Weile später erhielten wir ein Dankschreiben von dem Mädchen mit einem Bild. Sie ist wohl langsam von ihren Verletzungen genesen.

Und nun löst sich das Rätsel, wer die drei Musketiere waren: A A S = Air Traffic Control (Flugsicherung), Amateurfunk und SAR!

Essen ist unwichtig

Gutes Wetter

Düsseldorf Tower

Gutes Wetter
Gutes Wetter

Allgemein wird angenommen, Fliegen bei schlechtem Wetter ist schwieriger oder gefährlicher als bei gutem Wetter. Das kann man so nicht sagen, Fliegen bei gutem Wetter kann auch verdammt gefährlich sein.

Tower Düsseldorf, gutes Wetter, Sonnenschein, ganz wenig Wind, keine Wölkchen am Himmel. Ein perfekter Tag. Bei so einem Wetter, also Sicht bis zum Anschlag, da kommen die Flieger dann per Anflug auf Sicht rein und lassen die Navigationshilfen, wie das ILS nur so nebenbei mitlaufen. Das Zauberwort ist dann: „we have the field in sight.“ (wir sehen die Landebahn)
Dann bekommen sie die Landefreigabe und alles läuft.

Nicht so beim Clipper aus New York an diesem Tag.
Die Anflugkontrolle meldet die Boeing 707, einen vierstrahligen Jet, bei zehn Meilen. Das bedeutet, der Clipper wird auf die Towerfrequenz geschickt.
Er meldet sich auch sofort und meldet „field in sight“.
Er bekam daraufhin die Landefreigabe.
Das Problem für uns war allerdings, dass der Flieger auch nach zwei Minuten nicht zu sehen war.

Jetzt hätte er schon über dem Outermarker, einem Funkfeuer kurz vor dem Aufsetzpunkt, sein müssen, aber nichts. Wir riefen den Clipper und fragten nach seiner Position.
Antwort des Clipper: „landing“.
Das konnte aber nicht sein, die Bahn war frei.
Ulli sagte nur: „Essen, der ist in Essen runter, scheiße!“

Ulli hatte Recht, wie ein Anruf beim Tower in Essen ergab. Die große Maschine war gerade noch auf der Bahn zum Stehen gekommen. Die Landebahn hat ihn auch getragen, der Flieger ist nicht eingesunken.
Dazu muss man wissen, dass die Bahn in Essen nur für Flugzeuge bis 5,7 Tonnen zugelassen war. Die Bahn war also sehr stabil gebaut und hat die über 100 Tonnen ausgehalten, erstaunlich.

Wie konnte ein erfahrener Pilot Essen mit Düsseldorf verwechseln, das hatten wir noch nie.
Essen lag etwa 3 Meilen nördlich der Anfluglinie für Düsseldorf, die Bahn war zu unserer fast parallel. Der Pilot des Clippers wurde von Approach bei 15 Meilen vor dem Aufsetzpunkt der Düsseldorfer Bahn mit einer Linkskurve auf die Anfluglinie gedreht. Dabei sieht der Pilot dann die Bahn von Essen. Er gleicht seine Bahnerkennung nicht mit den Anfluginstrumenten ab und geht davon aus, das ist meine Bahn und richtet seinen Anflug entsprechend ein. Auf der Towerfrequenz meldet er dann die Bahn zu sehen.

Wir, auf dem Düsseldorfer Tower hatten keine Chance den Irrtum zu bemerken, denn da Essen ca. 6 Meilen nordwestlich liegt und der Clipper im Anflug schon recht niedrig war, war kein Sichtkontakt durch uns möglich. Wie sagt man so schön, eine Verkettung unglücklicher Umstände.

Die Kollegen in Essen haben die Boeing 707 aus Sicherheitsgründen am Ende der Bahn stehen lassen, keiner wusste, ob die Taxiways auch so stabil gebaut waren. Die Passagiere konnten dann nach einer Stunde aussteigen. Ja, es dauerte eine Stunde bis die Treppe von Düsseldorf nach Essen gekarrt war.

Eines war mal klar, die Chance so eine große Maschine wieder aus Essen in einem Stück rauszukriegen war sehr gering. Die Landung grenzte schon an ein Wunder, aber ein Start auf der kurzen Bahn, unmöglich.
Das bedeutete Essen ist geschlossen, lange geschlossen, sehr lange.

Wir mussten natürlich diesen Vorfall ins Wachbuch eintragen und nach Braunschweig melden. Luftfahrtbundesamt Braunschweig, die untersuchen solche Vorfälle.
Auch auf uns kamen Interviews zu, denn wir waren ja Beteiligte. Wenn es schlecht läuft, dann hängen die uns noch irgendein Fehlverhalten an. Da landet so ein Hirni in Essen und wir werden dafür verknackt, die Aussicht war nicht verlockend. Unsere Befürchtungen bewahrheiteten sich nach zwei Stunden, da stand der Wachleiter der Radarkontrolle mit zwei Polizisten in der Tür und die ließen uns bis zur Ablösung nicht mehr aus den Augen. Dann wurden alle Beweismittel, also die Kontrollstreifen des Clipper eingesammelt und wir drei wurden im Aufenthaltsraum verhört, hochoffiziell.

Einige Tage später, die Untersucher aus Braunschweig waren da, wurde der ganze Vorfall noch mal im Tower nachgestellt. Den Clipper mimte die HS 748, ein zweimotoriger Prop, der von der Flugsicherung zur Vermessung eingesetzt wurde. Dieser Flieger wurde nun von Approach genau so geführt, wie es die Auswertung der Radardaten ergeben hatte. Die Vorfalluntersucher passten jetzt genau auf, ob und wie wir dieses Missgeschick des Clipper hätten verhindern können.

Das fanden wir ganz schön unfair, denn die hatten alle Zeit der Welt und, die wussten ja vorher auf was sie achten mussten. Es ist bisher nie ein Flieger nach Düsseldorf in Essen gelandet, dass so was passiert, da waren wir uns einig, darauf konnten wir nicht gefasst sein, es also auch nicht verhindern.
Die Zeit von Erteilung der Landefreigabe bis zur Frage, wo bleibt er denn, hätte zur Landung in Essen schon gereicht.
Da kommt man einfach nicht drauf, dass so was passieren kann.

Nachdem das Manöver drei mal durchgespielt worden war und die Maschine wirklich, auch für die Untersucher, nicht vom Tower aus zu sehen war, beschossen die Herren, die Aufzeichnungen des Funkverkehrs des Tower mit dem Clipper bei einem weiteren Versuch zeitlich genau zuzuspielen. Sie wollten uns also anhängen, wir hätten zu spät reagiert.
Als auch das sich als nicht haltbar herausstellte, waren wir vorerst wohl sicher.
Wir hatten alles richtig gemacht, Gott sei Dank.
Pilotenfehler.

Währenddessen zerbrachen sich die Techniker der Pan Am die Köpfe, wie kriegen wir den Flieger da wieder raus und zwar so, dass der Flieger nicht zerstört wird und nicht mehr eingesetzt werden kann. Ist ja auch eine Geldfrage, so ein Flieger ist nicht billig. Frage: Woran erkennt man eine gute Landung? Antwort: Daran, dass man den Flieger danach noch verwenden kann!

Nach zwei Wochen kam die Entscheidung. Zuerst wollte man die Tragflächen entfernen und den Flieger dann auf der Straße nach Düsseldorf transportieren, zusammenbauen und wieder nutzen.
Das wurde aus zwei Gründen verworfen, erster, zu teuer, zweiter, der Flieger hätte dann einen umfangreichen Zulassungmarathon über sich ergehen lassen müssen.
Man entschied sich dafür, den Flieger zu strippen, also alles auszubauen, das irgendwie entbehrlich war, dann nach Düsseldorf zu fliegen und alles wieder einzubauen.

Die Technik hatte ein maximales Gewicht für einen Start in Essen ausgerechnet, das Gewicht galt es zu erreichen. Dabei war man aber nicht ganz sicher, ob die Bahnlänge auch reichen würde. Beruhigend.
Wir bekamen davon dadurch was mit, dass wir die Fahrzeuge mit den ausgebauten Teilen zur Halle 8 zu sehen bekamen.
Dann war es soweit, der Tag des Starts war da.

Wir auf dem Tower hatten vor den Flughafen Düsseldorf für 1400 Uhr für zwei Stunden zu sperren. Der Clipper sollte um 1415 Uhr von zwei Boeing Testpiloten den kurzen Satz nach Düsseldorf wagen.
Alles verlief planmäßig, die Berechnungen stimmten und der Clipper erschien am Horizont und landete perfekt in Düsseldorf.

Es dauerte drei Wochen, bis der Flieger wieder zusammengebaut war und ohne Passagiere nach New York entschwand.

Nicht immer ist schlechtes Wetter ein Problem, es gibt auch bei gutem Wetter welche.

Auf den Punkt

belle etage

Radarkontrolle Düsseldorf

Radarkontrolle
Radarkontrolle

Was kann man sich geruhsamer vorstellen, als einen Spätdienst an einem 31. Dezember in der Flugsicherungsleitstelle Düsseldorf, um halb drei Uhr nachmittags, eingeteilt beim FIS. FIS, das ist ein Arbeitsplatz mit Radar und einer Funkfrequenz und der Aussicht auf wenig Arbeit.

Der 31. Dezember ist sowieso ein „Totentag“, die Linienverbindungen sind stark reduziert und von den Privatpiloten ist auch kaum einer unterwegs.
So haben mein Freund Dave, ein Engländer, der bei der Flugsicherung als „Runner“ arbeitet, und ich unser Schachbrett aufgestellt.
Dave spricht noch eben die ATIS auf, so, jetzt ist erstmal 20 Minuten Ruhe.
Dave hat zwar dafür keine Zulassung, hört sich aber als gebürtiger Engländer richtig gut an.

Ja, kann man sich heute nicht mehr vorstellen, aber Anfang der 70er, zu Beginn meiner Zeit bei der Flugsicherung, war das noch so geruhsam.
Zu der Zeit hatte Düsseldorf so um die 12 Linienflüge am Tag, dazu noch zwei nächtliche Postflüge, alles Propellermaschinen. Für Insider, es waren Vickers Viscount, Super Connies, Elektras und andere Props.

Dave und ich schachten also, wir wollten bis um vier fertig sein, denn dann beginnt die erste Pause, bis halb sechs. Eigentlich war zu dieser Zeit die Flugsicherung ein geruhsamer Job, aber wie immer neigen die Deutschen dazu, Dinge unnötig zu komplizieren.

Radarkontrolle spielt sich in abgedunkelten, meist fensterlosen Räumen ab, die Zugangskontrollen sind streng.
Ab und an schaffte es eine Besuchergruppe sich Zugang zu verschaffen und wird dann als geführte Horde auf den Affenfelsen, einer Empore an der Stirnseite des Kontrollraumes geführt.
Besucher auf dem Affenfelsen hatten bei uns noch die britischen Kollegen, Soldaten zur Kontrolle der britischen Lufträume innerhalb des Düsseldorfer Kontrollgebiets, auf einer Seite des Kontrollraums an ihren Geräten zu bestaunen. Die Jungs hatten natürlich Uniformen an und sahen sehr adrett aus, was unsere „belle etage“ auf die grandiose Idee brachte, das gesamte Kontrollpersonal in Anzüge mit Schlips und Kragen stecken zu wollen. Es sähe für Besucher einfach besser und seriöser aus, argumentierten sie.
Nun ist das Kontrollpersonal, aufgrund der extrem harten Auswahl, der komplexen Ausbildung, der großen Verantwortung und nicht zuletzt wegen der daraus resultierenden Selbstsicherheit ein sehr eigenes Völkchen.
Daher lässt sich auch nachvollziehen, dass Betriebspersonal keine Debatten mit der „belle etage“ führt, sondern seinen Standpunkt durch Aktionen klarstellt.

So ergab es sich, dass heute alle Lotsen und Assistenten gekleidet waren wie im Karneval.
Dave hatte ein T-Shirt mit dem Abbild eines nackten Oberkörpers einer Frau an, ich trug ein Shirt mit aufgemaltem Anzug mit Schlips und Kragen.
Auch alle anderen Kollegen hatten Hütchen auf oder waren sonst wie auffällig gekleidet.

In den 70er Jahren war es noch üblich, dass der Leiter der Flugsicherung (LDF]), der oberste Verwalter zu besonderen Feiertagen persönlich erschien und allen sein schweißnasses Händchen drückte.
Wozu, das bleibt bis heute sein Geheimnis, wir konnten gut darauf verzichten, aber heute war die Gelegenheit für unseren Maskenball günstig, denn der LDF wurde erwartet.
Zu seinem Unglück hatte er heut’ zur Feier des Tages den Boss der Flughafengesellschaft und den Leiter der Lufthansa Düsseldorf dabei.
Die beiden sahen aus, als ob sie im falschen Film wären, der LDF war eigentlich nur rot im Gesicht, zugegeben sehr rot.
Er flüsterte jedem Einzelnen zu, „das werde noch unangenehme Konsequenzen haben“.
Das Händeschütteln hatte er allerdings komplett vergessen, so ersparte uns die Maskerade wenigstens das.
Natürlich wurde heftig gefeixt, Dave probierte sich im Bauchtanz und ich mimte einen Kellner.
Die Briten waren nur cool, die waren immer cool.
Wir stellten uns vor, wie der LDF den Gästen erklärte, dass das, was sie da gesehen hatten, nicht der Normalzustand in der Kontrolstelle war. Da wollten wir Mäuschen gewesen sein.

Das Ganze hatte natürlich keine Konsequenzen, aber leider nicht wegen der Maskerade, sondern weil für Berufskleidung kein Geld da war.

Der FIS – Arbeitsplatz war solange ein geruhsamer, bis die Privatpiloten merkten, da sitzt ja einer nur für uns. Also hatte ich alle Hände voll damit zu tun Speedy, einem Düsseldorfer Unterweltskönig, in seiner Bonanza zu Platz zu leiten. Dave meinte, eines Tages werden die uns noch bitten einen Tisch im Restaurant für sie zu buchen und Menüvorschläge zu machen.
Darüber machte ich mir keine Gedanken, denn ich musste ja sowieso hier sitzen. Speedy hatte es dann doch geschafft und rechtzeitig zur Ablösung den Platz erreicht.
Dave schlug vor zu sich nach Hause zum Kaffee zu fahren und kündigte uns schon bei seiner Frau an.

Die Engländer, eine kleine aber höchst kompakte Gruppe in Düsseldorf, feierten Silvester auf eine besondere Weise. Die Frauen bleiben zu Hause und die Männer ziehen von Haus zu Haus und wurden von den Frauen bewirtet. Wenn Mann dann nicht mehr weiterkonnte, blieb er einfach wo er war und machte sich später auf den Heimweg. Meist viel später.
Dave meinte ich sollte das mal mitmachen, wäre doch mal was anderes als die Partys, die ich sonst so zu Silvester feiere.
Das Problem dabei ist die Ungewissheit wo man dann, wegen Bewegungsunfähigkeit, endgültig landet.
Hat man dazu, so wie ich am nächsten Tag um neun wieder Dienst, berücksichtigt man weiterhin, 12 Meter (Stunden) vor dem Dienst keinen Alkohol mehr zu sich zu nehmen, da war mir die Sache doch viel zu gefährlich. Ich tendierte eher dazu, die Einladung von Peter anzunehmen und auf seine Fete in Bottrop zu gehen.
Zu meinem Glück traf ich beim Dave zuhause Claudia, die Freundin seiner Frau. Die hatte auch wenig Lust, sich den ganzen Abend von den unterschiedlich besoffenen Engländern anmachen zu lassen, denn, wie Daves Frau mir sagte, lief es immer darauf hinaus. Also verabredete ich mit ihr um sie nach dem Spätdienst mit nach Bottrop zu nehmen.
Der Spätdienst ging zu Ende, die Fete in Bottrop verlief sehr einseitig, claudialastig würde ich sagen, kurz, Claudia und ich waren zusammen.

Bei solchen Events wird die Zeit immer knapp und es reichte nur noch zum schnellen Frühstück im Bottropper Bahnhof. Dann der Dienst.
Dave sah wirklich nicht gut aus, aber es war ihm hoch anzurechnen, dass er den Dienst angetreten hatte und auch durchhielt, obwohl er weder gut zu Fuß noch sehr gesprächig war, an Schach war nicht zu denken.
Mir ging es körperlich auch nicht so gut, das wurde aber durch angenehme Gedanken an die Ereignisse wettgemacht.

Haus, Klo, Bett, Allohol, Weiber