Die Mützen

A330 LTU
A330 LTU

In Karlsruhe, bei Rhein Control, gab es auch einen Affenfelsen, also eine Empore die die ganze Stirnseite des Kontrollraumes einnahm und für Besucher gedacht war.
Da der Mitbetreiber des Kontrollzentrums, Eurocontrol, sehr stolz auf diese Einrichtung war, fand mindestens einmal am Tag eine Führung von Besuchern auf eben dieser Empore statt.

Mit der Zeit hatte man sich, als Kontrollpersonal, an diese Auftriebe gewöhnt und beachtete sie einfach nicht mehr, man hatte schließlich Besseres zu tun. Einige Gruppen wurden anschließend aber in kleinen Portionen durch den Kontrollraum geführt und machten sich durch ihre pure Anwesenheit unbeliebt. Die versammelten sich sehr dicht hinter einem und machten interessierte Gesichter und kamen dann immer näher, um auch ja nichts zu verpassen. Für uns wurde es erst dann interessant, wenn man dem Vortrag des Besucherführers von Eurocontrol lauschen durfte. Da wurde die Arbeit, also unsere, beschrieben, wie die dauernde Entscheidung zwischen Leben und Tod. Die Frage nach der entsprechenden Bezahlung blieb allerdings regelmäßig unbeantwortet.
Normalerweise bekamen wir von der Anmeldung dieser Gruppen nichts mit, die kamen halt einfach. Ein Leck in der „belle etage“ (Verwaltung) verriet uns dann aber, es war eine Besuchergruppe angekündigt, die Karlsruher Polizei. Endlich mal eine Gruppe, mit der wir was anfangen konnten. In der Annahme, dass die Damen und Herren von der Polizei Spaß verstehen, hatten wir einen kleinen Scherz für sie vorbereitet.
Alles fing damit an, dass die „Bullen“ (ist hier respektvoll und freundlich gemeint, nicht als Schimpfwort) durch die Zugangskontrolle mussten. Ausweiskontrolle, Ausgabe der Besucherausweise und dann durch die Klaustrophobieschleuse.
Kurz, jetzt wurden sie mal gefilzt, eine neue Erfahrung für die Damen und Herren. Dann ging es hoch zur Garderobe und die Mäntel und Mützen wurden abgelegt.

Hier begann unser Plan.
Die Garderobe befand sich im zweiten Stock, die Zugangskontrolle im Eingangsbereich durch einen Wachmann bestens bewacht. Um unseren Plan ausführen zu können musste der da weg, denn den wollten wir sicher nicht einweihen. Es wurde beschlossen, ihn kurzfristig zu entfernen.
Das geschah durch einen höchst offiziell klingenden Telefonanruf bei diesem armen Mann, der ihn sofort, unverzüglich in sein Wachhäuschen an der Einfahrt befahl.
Als klar war, er ist weg, sammelten wir alle Polizeimützen ein und beförderten sie erstmal an einen sicheren Ort.
An dieser Stelle muss ich ein wenig vorsichtig sein, denn ich habe keine Ahnung, wann das Entwenden von Polizeimützen verjährt ist. Einige meinten so 30 Jahre.
Da wir keinerlei eigene Verwendung für so einen Berg Polizeimützen hatten, dachten wir, je nach Situation, an mehrere Rückgabe­möglichkeiten. Hätten die Polizisten Humor, so würde beim Umtrunk in unserer Kantine, auch „schmutziger Löffel“ genannt, einer mit einem Paket voller Polizeikopfbedeckungen auftauchen. Hätten sie allerdings keinen Humor, so sollten sie am nächsten Tag, per Postpaket bei einer Polizeidienststelle unserer Wahl ankommen und von da aus dann verteilt werden. So wollten wir uns in freundliche Erinnerung rufen.
Es kam aber ganz anders.

Der Besuch der grünen Truppe verlief entspannt, bis sie die Garderobe erreichten. Blitzschnell bemerkten sie den Verlust der Mützen. Zuerst Ratlosigkeit, dann wildes Durcheinander.
Dann wurde von den Besuchsgruppenleitern die „belle etage“ auf den Plan gerufen.
Heftige Diskussionen führten dann zur Entscheidung. Es wurde die Schließung und Bewachung sämtlicher Ein– und Ausgänge angeordnet. Das war praktisch, die Polizei war ja schon da.
Natürlich hatten unsere Verwalter uns, den Kontrolldienst, sofort im Verdacht und sahen uns schon in der Falle. Nach einer Weile der peinlichen Stille bemerkten sie, so tauchen die Mützen auch nicht wieder auf. So ordneten sie die Durchsuchung des gesamten Gebäudes an.
Was uns allen bei diesem Späßchen allerdings nicht bekannt war, ein unbemützter Polizist begeht eine Ordnungswidrigkeit und darf ohne seine Mütze nicht in die Öffentlichkeit, die Armen konnten das Gebäude also nicht verlassen.
So eine Durchsuchung ist nicht so einfach, daher forderten die Polizisten Verstärkung von ihren Kollegen draußen an.
Es dauerte eine Viertelstunde und zwanzig neue, bemützte Polizisten quälten sich durch die Zugangsschleuse. Natürlich bemerkten wir die Durchsuchung und wiesen darauf hin, dazu ist aber ein Durchsuchungsbeschluss nötig, ob der denn vorhanden sei?
Keine Antwort, war wahrscheinlich nicht nötig, es war ja Gefahr im Verzug.
Von der Ernsthaftigkeit und dem Aufwand der jetzt an den Tag gelegt wurde, waren wir sehr erstaunt, keiner von uns hatte sich vorstellen können, was so ein kleiner Scherz für weite Kreise ziehen konnte. Aber es gab jetzt kein zurück mehr.
Die umfangreiche Durchsuchung, auch bei den völlig verdutzten Technikern, dauerte zwei Stunden und ergab nicht den kleinsten Hinweis auf Mützen, die grün waren.
Konnte sie auch nicht, denn die besagten Mützen hatten das Gelände längst verlassen und waren an einem sicheren Ort (Mehr sag ich dazu nicht, man weiß ja nie).
Jetzt wurden, wieder auf Order de Mufti, Verhöre angesetzt.
Da das Ganze jetzt schon drei Stunden dauerte, traf es uns jetzt wie ein Bumerang, es war erstmal keine Ablösung zu erwarten, es durfte ja keiner rein. Die „belle etage“ hatte das Kommando an die Polizei abgegeben und die entschieden Verhörteams zu bilden und jeden sich einzeln vorzunehmen. Die ersten von uns wurden aufgefordert in entsprechende Verhörräume zu kommen, was mit dem Hinweis auf fehlende Ablösung abgelehnt wurde. Auch der Nachdruck der Polizei half ihnen nicht, wir verwiesen darauf, wenn wir den Arbeitsplatz verlassen, begehen wir Verkehrsgefährdung. Das war zwar reichlich übertrieben, wirkte aber wie gewollt.
So sahen sich die größtmöglichen Rechtsverdreher unserer „belle etage“ genötigt, erstmal festzustellen, wer denn alles verdächtig war. Als die Liste fertig war, gestatteten sie unserer Ablösung Portionsweise das Gebäude zu betreten und uns einzeln, unter Polizeischutz, abzulösen. Na wenigstens was.
Dann gings zum Verhör. Die erste Frage an mich war: „Wer ist das gewesen?“
Meine Antwort war: „Wer soll was gewesen sein?“
Es blieb ihnen nichts anderes übrig als mir den, mir durchaus geläufigen, Sachverhalt zu erklären, was sehr lustig war. Mein Kichern wurde allerdings nicht sehr positiv aufgenommen, man vermisste meine Ernsthaftigkeit und der Ton wurde förmlicher.
Sie drohten mir mit dem Staatsanwalt, was mich in Ermangelung der entsprechenden Kenntnisse, was dann passiert, nicht besonders einschüchterte. Auch die in Aussicht gestellte Straffreiheit bei Nennung des Übeltäters wirkte weder bei mir, noch bei allen anderen Delinquenten, wie ich später erfuhr.
Leider ergaben all diese Untersuchungen nichts Verwertbares und so wurde am nächsten Tag die Staatsanwaltschaft und die Kripo eingeschaltet. Auch die Rechtsabteilung der Bundesanstalt für Flugsicherung schickte zwei Rechtsverdreher aus Frankfurt zu uns.
Wir konnten uns schon die Schlagzeilen in den Zeitungen ausmalen:
Schwerer Raub bei der Flugsicherung Karlsruhe.
Wir lasen die nächsten Wochen jede verfügbare Zeitung, nichts.
Für so feige hatte ich die Polizei nicht gehalten.

Leider ging das mit dem Zurückschicken all der schönen Mützen jetzt nicht mehr, viel zu gefährlich für uns.

Kurz und gut, dieser eklatante Fall wurde nie aufgeklärt. Die Mützen blieben und bleiben verschwunden, bis heute. Soweit ich weiß, hat uns die Polizei seit dem nie mehr besucht.
Schade…

Merke: Jeder Polizist sollte, in Anwesenheit von Flugsicherungspersonal, unbedingt auf seine Mütze achten!

Hummel 7

Auf den meisten Flughäfen ist die Polizei mit einer Hubschrauberstaffel vertreten, so auch bei uns. Die Polizei residierte in der Halle 8, der LTU-Halle, am Ostrand des Flughafens. Die Helikopter trugen das Rufzeichen „Hummel“ gefolgt von einer Nummer.

Da die Polizeieinsätze der Hummeln nicht planbar waren, musste die Zusammenarbeit mit uns Besonders sein, was sie natürlich auch war. Von uns, dem Personal des Towers, wurde die Polizeikantine der Staffel besonders geschätzt. Es handelte sich eigentlich schon um ein gemütliches Kasino mit hervorragendem Futter zu guten Preisen.

Eines Tages, während eines Gespräches mit den „Bullen“ (ist hier liebevoll und respektvoll gemeint) in deren Kasino, fragte ich blauäugig, ob es wohl mal möglich wäre mit der Hummel mitzufliegen. Zu meinem Erstaunen war die Antwort: „Na klar, selbstverständlich!“

Das alles war, an einem herrlichen, sonnigen Sonntagmorgen, so um sechs Uhr dreißig, schon lange vergessen, als plötzlich von den „Bullen“ über Funk angefragt wurde, ob ich im Dienst war. Klar, ich war im Dienst, aber wie! Samstag war Party und ich noch nicht so richtig wach. Außerdem lag mir der Mitternachtssnack Marke Gulaschsuppe noch schwer im Magen.

An mir vorbei arrangierte der Towerchef mit dem Wachleiter in der Radarkontrolle, dass ich heute Hummel fliegen sollte. Im Prinzip klasse, Dienst im Hubschrauber, mal was anderes, mein Magen war nicht so richtig einverstanden, er wirkte etwas unschlüssig.

„Cleared to hover in front of the tower“ plärrte kurze Zeit später die Funke. Ende meiner internen Diskussion mit meinem Magen, ich musste runter. Hummel 7 war eine Alouette 3, vom Tower aus eher winzig, wurde, je näher ich kam, immer größer und vor allem, immer lauter. Die Crew, 2 Mann, waren sehr nett.

Was ich absolut nicht schnallte, war die Umkehrung der Verhältnisse zwischen Flugsicherung und Piloten der Staffel. Normal gaben wir die Anweisungen und die Jungs hatten sich dran zu halten. Jetzt hatten die einen von der anderen Seite an Bord und damit die Legitimation dem mal zu zeigen, was sie denn so drauf hatten. Außerdem wussten sie, dass jeder auf dem Tower wusste, dass ich an Bord war und dementsprechend jede Freigabe bekommen würden, die sie wollten.

Das nutzten sie schamlos aus und beantragten einen besonderen Luftraum nur für sich, um „Flugversuche“ durchzuführen. Da spätestens hätte es mir dämmern müssen, aber mein Magen meldete sich gerade beim Steigflug, so dass es mir entgangen ist.

In sehr freundlichem Ton fragte mich der Pilot, ob ich schon mal was von Autorotation gehört hätte. Hatte ich nicht, Gott sei Dank, denn schon den Gedanken daran hätte mein Magen nicht verkraftet.

Es ging los…

Der Helikopter stieg sehr hoch, die Jungs vorn nestelten an ihren Gurten.
Dann stellte der nette Pilot das Triebwerk ab!!!

Es wurde still.

Es passierte erstmal nichts. Dann begann sich der Heli langsam um seine Hochachse zu drehen. Erst war es wie Karusselfahren.

Dann wurde es immer schneller.
Die Fliehkraft nagelte zuerst meine Arme an meinen Körper. Dann begann ich mich langsam die Rückenlehne raufzuschieben. Als ich die Decke erreicht hatte, war ich absolut bewegungs- und orientierungslos.

Jetzt begriff ich, warum die beiden die Gurte festgezogen hatten, ich klebte wie eine tote Mücke, völlig hilflos, zwischen Decke und Lehne des Helikopters. Was ich noch wahrnahm, die Erde kam schnell näher
.
Wie durch ein Wunder startete das Triebwerk wieder und ich klatschte wie ein Sack in meinen Sitz. Mein Magen war Geschichte, nicht mehr vorhanden, ich war hellwach.

Nach, zugegeben, zynischen Fragen nach meinem Befinden, entspannte sich die Atmosphäre, anscheinend hatte ich bestanden, und der Flug verlief in geruhsameren Bahnen. Jetzt war Zeit für unseren Auftrag. Ölverschmutzung auf dem Rhein durch die Flussschiffer aufspüren. Diesen Auftrag nutzten die beiden vorn um ihren Spaß zu haben. Sie verbargen sich hinter den Pappelreihen am Ufer und warteten, bis ein Schiff auf gleicher Höhe war. Dann, mit Speed, über die Pappeln hinweg direkt auf das Schiff zu um neben der Brücke zu schweben.

Ölsünder Fehlanzeige, aber die beiden hatten es auf eine andere Situation abgesehen, die sie köstlich amüsierte, war aber auch komisch. Beim Sturz des Helis auf das Schiff zu stand eine dicke Frau am Steuer des Schiffes. Dann schlug eine Tür auf und ein dicker Mann rannte auf die Brücke, schubste die Frau weg und hupte eifrig mit dem Schiffshorn. Das war der Schiffsführer. Diese Szene deutete darauf hin, dass die Frau kein Patent hatte. Delikt, Führen eines Schiffes ohne Erlaubnis.

Auch der Lautsprecher am Heli erwies sich als sehr wirkungsvoll. Der Satz, der am besten kam, war: „Hier ist Angeln verboten!“ Völlig verdutze Gesichter blickten ruckartig nach oben und blieben dann zurück.

Gegen zehn Uhr meinten die beiden, es sei Zeit für das Frühstück. Wir flogen in den Duisburger Hafen und landeten neben einem Cafe mit Terrasse. Motor aus, Funke auf maximale Lautstärke und ab zum Frühstück.

Ein eigenartiges, fremdes Gefühl beschlich mich, als die Gäste uns genauer musterten. Die Gäste waren irgendwie, nicht beweisbar aber ohne Zweifel, alle schuldig, so wie sie uns ansahen. Die beiden Piloten waren sich ihrer Wirkung bewusst und sprachen freundlich mit den Leuten und brachen das Eis, sie entspannten und meine erste Vermutung löste sich in Wohlgefallen auf, keine Verbrecher, normale Leute. Was die Gäste von mir, dem schlecht gekleideten Zivilisten, hielten, blieb mir verborgen.

Kurz nach unserer Stärkung ließ sich das Funkgerät hören und wir rannten zum Heli. Zur Beruhigung, wir hatten schon bei der Bestellung bezahlt. Neuer Auftrag, eine Verfolgung.

Ab jetzt war ich abgemeldet, die beiden Piloten mussten sich auf drei verschiedenen Frequenzen mit den zuständigen Diensten absprechen.

In einer kurzen Funkpause baten sie mich die Kommunikation mit der Kripo zu übernehmen. Unser Auftrag war einen hellblauen Porsche auf der Autobahn ausfindig machen und die Polizeikräfte am Boden so zu lenken, dass der Porsche aufgehalten und der Fahrer festgenommen werden konnte. Der Fahrer war von einer Autobahnstreife als Gewaltverbrecher identifiziert worden und sie wollten ihn unbedingt stellen.

Für uns hieß das erstmal Höchstgeschwindigkeit. Nach zehn Minuten Flug hatten wir den Porsche gefunden, er fuhr mit sehr hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn Richtung Düsseldorf. Als er uns bemerkte vollführte er einen Angstschlenker und wurde noch schneller.

Ich war ständig damit beschäftigt die Position und die Richtung durchzugeben, das ist, wenn man nicht darin geübt ist, schwierig. Nach einer Weile hatte ich mich an den Ton und die Spezialausdrücke gewöhnt und es begann Spaß zu machen. Der Porsche raste jetzt in die Stadt und unser Pilot war gezwungen alle fliegerischen Register zu ziehen. Wir schossen so flach über die Häuserreihen, dass ich befürchtete eine Fernsehantenne würde uns runterholen.

Natürlich wusste der Porschefahrer jetzt, dass wir hinter ihm her waren und missachtete jetzt alle Verkehrsregeln. Ich dachte es wäre sicherer die Verfolgung aufzugeben, denn das Risiko andere zu gefährden erschien mir viel zu hoch. Aber die Kripo bestand auf der Verfolgung, der Mann musste wichtig sein, denn sie wollten ihn unbedingt. Also blieben wir dran.

So aus der Luft erschließt sich die Taktik der Polizei sehr gut, die Einsatzfahrzeuge werden in einem großen Ring angeordnet, der sich nach unseren Positionsmeldungen immer mehr zusammenzog. Damit schwanden die Möglichkeiten für den Delinquenten zu entwischen zusehends. Nahe einer Fabrikhalle schnappte dann die Falle zu, überall, in jeder Straße Polizeifahrzeuge, er hatte keine Chance mehr.

Nach fünfeinhalb Stunden setzte mich der Helikopter wieder vorm Tower ab. Man kann sich nach so einem Abenteuer ehrlich auf den Dienst im Tower freuen, man glaubt es nicht, aber es ist so.

Hummel 7