Ein weiteres Abenteuer, das ich über das International Air Traffic Control Net erlebte.
Es war im September 1984. In der Welt der Luftfahrt fand ein interessantes Vorhaben statt. Joe W. Kittinger, der Mensch, der einst den Rekord des höchsten freien Falls von einem Ballon in der Stratosphäre (der Excelsior III, auf 102 800 Fuß/31 300 Meter am 16. August 1960) aus aufgestellt hatte, war wieder auf dem Weg. Dieses mal wollte er als erster Mensch alleine den Atlantik in einem Ballon überqueren.
Diese Abenteuer in der Luftfahrt wurden gewöhnlich im I-ATC Net diskutiert und verfolgt. Ernie, W1BFA hatte hervorragende Verbindungen und hielt alle sehr gut informiert. Ja, oftmals waren die Teilnehmer an solchen Vorhaben oder Expeditionen selbst Funkamateure und tauchten sporadisch auf der Welle vom Net auf.
Am 18. September kam ich wieder von einem Frühdienst nach Hause. Wie so oft schaltete ich vor dem Mittagessen die Funke ein, um zu horchen, ob und was auf dem I-ATC Net los sei. Ernie war da, und er sprach mit N4HDP, Joe Kittinger in seinem Ballon! Wahnsinn!! Aber – ich konnte Joe nicht hören. Er war schon über den Atlantik drüberweg und stand mit seinem Ballon irgendwo südlich der Alpen in Norditalien. Anscheinend wollte er seinen Rekord noch vergrößern.
Es ist bei der launischen Dame der Kurzwelle oft der Fall, dass man jemand von weither gut hört, in diesem Fall Ernie in Maine, aber jemanden in kürzerer Entfernung von einem selber hört man nicht. Von meinem Standort bis zu Joes Ballon waren es vielleicht 500 km, zu kurze Distanz für die Radiowellen, um zurück auf die Erde reflektiert zu werden. Zu schade, wie gerne hätte ich selber mit ihm eine Verbindung gehabt!
Aber dann – Ernie rief herum und lies wissen, dass Joe einen Wetter-Report und -Vorhersage von der Gegend benötigte, in der er gerade stand. Das Wetter schien ein wenig kritisch für ihn zu sein. Er überlegte offenbar, ob er nicht besser den Ballon landen sollte. Der nächste Flughafen zu seiner Position war Genua.
Es schien niemand den Wetter-Report besorgen zu können. Aber – meine Güte – im Dienst haben wir Zugang zu allen möglichen Wetter-Reports. So hängte ich mich ans Telefon und rief im Dienst an.
Ein Anruf im Kontrollraum kommt immer beim Wachleiter raus. Heute hatte Paule Dienst. Paule war bekannt für seine unwirsche Art, wenn etwas außergewöhnliches passierte. Als ich mich meldete und ihn bat, doch über die Kollegen am Söllingen Sektor durch einen Anruf bei den Zürichern ein Genua Wetter zu besorgen, reagierte er sehr unwirsch: „Wozu zum Teufel brauchst du ein Genua Wetter? Du bist nicht im Dienst!“ Ich erklärte ihm geduldig die Umstände, und glücklicherweise sagte er nichts weiter, sondern veranlasste, dass das Wetter geholt wurde. Ein paar Minuten später buchstabierte er es mir durch. Die Wetter-Reports werden in einem internationalen Abkürzungs-Code geschrieben, dem METAR Code, der jeder in der Luftfahrt versteht und interpretieren kann. Wir mussten diese neben vielen anderen Dingen in der Flugsicherungsschule während unserer Ausbildung lernen. So war es nicht schwer, den Report mitzuschreiben.
Nachdem ich Paule für seine „immense Hilfe“ gedankt hatte, meldete ich mich wieder auf der Kurzwelle und gab Ernie in Maine das Wetter durch. Ernie wiederholte dann den Report, damit Joe in seinem Ballon ihn mitschreiben konnte. Da ich Joe nicht hörte, konnte er mich auch nicht hören! Aus dem Wetter ging hervor, dass in der Umgebung von Genua zahlreiche Gewitter standen und auch weitere vorhergesagt wurden. So überlegte Joe es sich nicht lange, sondern entschied sich, die Landung seines Ballons einzuleiten. Eine Fortsetzung seiner Ballonfahrt mit den Gewittern überall wäre sicherlich zu gefährlich geworden. Langsam ging der Kontakt zwischen Ernie und Joe verloren, da Joe immer tiefer sank und bei der Landung auch andere Dinge zu tun hatte als mit uns auf dem Net zu „quatschen!“
Später hörte ich in den Nachrichten, dass der Ballon erfolgreich gelandet war, er aber in grobem Gelände herunter gekommen wäre. Joe hatte sich bei der Landung einen Fuß gebrochen. War das nun meine Schuld gewesen, wegen des ungünstigen Wetterberichts?
Aber ich glaube, es war gut dass. Joe die Ballonfahrt beendet hatte. Mit Gewittern spielt man nicht, vor allem nicht in einem Ballon. Und – nach einer Weile – bekam ich eine interessante QSL-Karte von Joe, in dem er unseren Kontakt und den Wetterbericht– über Ernie – bestätigte!
Der Titel dieser Geschichte sieht wie ein Rätsel aus. Es wird sich allerdings im Laufe der Geschichte auflösen.
Es war in den frühen 80’er Jahren. Ich arbeitete als Radar-Controller im Karlsruher UAC, besser bekannt in der Luftfahrt als Rhein Control. In meiner Freizeit hatte ich (und habe immer noch) mehrere Hobbies neben meiner Frau und unserem Heim. Eines dieser Hobbies war und ist der Amateurfunk.
Seit 1979 habe ich eine Amateurfunk-Lizenz und bin bekannt als DF6OM. Es macht Spaß, vor der Funke zu sitzen und mit anderen Leuten auf der ganzen Welt reden zu können. Damals gab es noch keine Handys, kein Internet, Chat-Rooms, email, Facebook und all die anderen Spielereien, die heute üblich sind. Besonders Spaß hat die Beteiligung an einem täglichen Treffen einer Runde auf Kurzwelle gemacht, die sich „International Air Traffic Control Net“ nannte. Das war eine Gruppe von Leuten, die entweder bei der Flugsicherung beschäftigt waren, oder in anderen Bereichen der Luftfahrt, wie Piloten, Techniker, oder die einfach nur Interesse an der Luftfahrt hatten. Diese Gruppe wurde von Ernie, W1BFA, gegründet, einem pensionierten Wachleiter aus Maine, an der amerikanischen Ostküste. Ernie ist jeden Tag der Woche besonders früh aufgestanden und rief auf 14.277 Mhz, und dann sammelten sich immer 5, 6 oder 7 Teilnehmer, die über die ganze Welt verstreut waren und schwatzten, meistens über Luftfahrt. Einer war z.B. am Flughafen in Algier, ein anderer in Maastricht, wieder einer mitten in England, usw. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Ernie ist leider in der Zwischenzeit verstorben, aber noch immer trifft sich diese Gruppe jeden Tag um 12:00 Uhr UTC, inzwischen auf der Frequenz 14.279 Mhz.
Eines Tages nach dem Frühdienst, ich kam nach Hause und das Mittagessen war noch nicht fertig, schaltete ich meine Funke ein, die auf der Frequenz vom I-ATC Net stehengeblieben war. Ich hörte sofort einen unwahrscheinlichen Tumult auf der Welle. Ernie war da, ebenso Kamel, 7X2BK, der Funkfreund aus Algier, neben einigen anderen. Sie riefen ununterbrochen „cq Japan, cq Japan …“, was bedeutete, sie wollten einen Kontakt mit irgend einer Station aus Japan haben. Aber – kein Japaner schien sie zu hören. Nun – die Kurzwelle ist eine ziemlich launische Dame, manchmal ist sie in guter Stimmung und man kann mit der ganzen Welt reden, mit einem nassen Daumen als Antenne. Und manchmal ist sie garstig und man kommt kaum nirgendwo hin. Das hängt von den Ausbreitungsbedingungen ab, die wiederum von der Sonnenaktivität, dem Sonnenstand, Tageszeit, Jahreszeit, Wetter und anderen Faktoren beeinflusst werden. Diese Bedingungen beeinflussen die reflektierenden Schichten in der Atmosphäre, die die Radiowellen auf die Erde zurückspiegeln, nachdem sie größere Entfernungen zurück gelegt haben.
Aber was in aller Welt ging da vor? Ich hörte eine Weile zu, dann bekam ich langsam mit, was da lief. Die Jungs wollten mit einer japanischen Station reden, weil sie nach einem ganz speziellen Medikament suchten, die es offenbar nur in Japan gab. Anscheinend hatte es in Jugoslawien einen Unfall gegeben, ein junges Mädchen hatte sich sehr schwer an der Wirbelsäule verletzt und wäre fast querschnittsgelähmt worden. Dieses Medikament war ein Stimulant für Nerven-Wachstum und -Regeneration, so wurde es für das Mädchen dringend benötigt. Ein Freund der Familie des Mädchens war Funkamateur, und er kannte das I-ATC Net, so bat er dort um Hilfe. Dort hatten sie den Namen des Medikaments herausgefunden und auch, dass es nur in Japan zur Verfügung stand.
Die Kurzwelle war weiterhin nicht in bester Laune, niemand aus Japan hörte die Rufe. Ein oder zweimal fiel der Name der Medizin, es klang so als hätte man einen solchen Namen schon einmal gehört. So wurde ich neugierig. Wir haben eine internationale Apotheke in Karlsruhe, so hängte ich mich ans Telefon und wollte dort wissen, ob sie von diesem Medikament schon einmal etwas gehört hätten. Einer netten Dame am Telefon erklärte ich, wer ich war und welche Umstände mich zu meiner Frage geführt hätten. Nach einer Weile sagte sie: „Im Übrigen haben wir eine Packung von diesem Medikament hier bei uns auf Lager, es wurde von einem Professor der Medizin für Studien bestellt, aber noch nicht abgeholt.
Ich wurde sehr aufgeregt, als ich das hörte. Auf meine Frage, ob sie das Medikament zur Verfügung stellen könnte, erwiderte sie dass sie dazu eine schriftliche Bestätigung über das Vorliegen eines internationalen medizinischen Notfalls benötigen würde. Dann würde sie es zur Verfügung stellen.
Da war ich nun. Was sollte ich jetzt unternehmen? Als erstes – musste ich mich auf dem I-ATC Net melden und berichten, was ich herausgefunden hatte. Auf der Kurzwelle riefen sie immer noch „cq Japan.“ In einer Sendepause meldete ich mich, nannte mein Rufzeichen und erzählte Kamel in Algier, der anscheinend die Aktion leitete, über das Medikament in der internationalen Apotheke in Karlsruhe. Auf der Stelle wendete die Aufregung sich mir zu! Man bat mich dringend, doch das Medikament zu besorgen und irgendwie einen Transport nach Jugoslawien zu organisieren.
Da war ich nun schon wieder. Wie geht es nun weiter? Ich sah zwei Aufgaben: Eine offizielle Bestätigung zu erhalten, und einen Transport zu organisieren. Und das Ganze recht schnell! Wie diese Probleme lösen? Als erstes – hängte ich mich wieder ans Telefon und rief nochmals die Apotheke an. Die nette Dame versprach, das Medikament für mich zurückzulegen, der Professor hätte schon eine Weile die Packung bei ihnen liegen lassen, so würde es ihm sicherlich nichts ausmachen, wenn er noch ein wenig auf eine neue Lieferung aus Japan warten müsste. Ich versprach, die offizielle Bestätigung umgehend zu besorgen.
Inzwischen hatte ich das Mittagessen komplett vergessen. Meine Frau Maria war mit im Zimmer, auch recht aufgeregt und hörte zu, wie die Dinge sich entwickelten. Ich musste nachdenken – wie geht es weiter. Ich entschied mich, die Rettungsleitstelle der Feuerwehr anzurufen.
Was dann geschah, war sehr frustrierend. Deren erste Frage war: „Wer sind sie überhaupt?“ Die nächste Aussage: „Da kann ja jeder kommen …!“ Nach langatmiger Erklärung – Amateurfunk, I-ATC Net, internationaler medizinischer Notfall, Bedarf einer Spezialmedizin, offizielle Bestätigung, Problem des Transports, war die Reaktion: „Dafür sind wir nicht zuständig, rufen Sie doch die Polizei an!“ Das tat ich dann auch.
Was dann geschah, war sehr frustrierend. Deren erste Frage war: „Wer sind sie überhaupt?“ Die nächste Aussage: „Da kann ja jeder kommen …!“ … habe ich das nicht gerade geschrieben. Es war genau so wie im vorigen Absatz! Die letzte Aussage: „… nicht zuständig. Rufen Sie das Rote Kreuz an!“ Das tat ich dann auch.
Was dann geschah, war sehr frustrierend. Deren erste Frage war: „Wer sind sie überhaupt?“ Die nächste Aussage: „Da kann ja jeder …!“ … … … „… nicht zuständig, rufen Sie die Feuerwehr an!“ Ich war drauf und dran, mir die Haare auszureißen.
In der Zwischenzeit plärrte meine Funke ununterbrochen, die Jungs wollten wissen, was sich tat. Ich hatte das Gefühl dass mir die Sache begann. aus den Fingern zu gleiten. So rief ich auf unserer UKW Frequenz nach irgend einem von unserem örtlichen Amateurfunk-Verein (dem A36), glücklicherweise meldete sich jemand. Ich bat um Hilfestellung, vor allem den Funkverkehr auf der Kurzwelle abzuwickeln, während ich weiter meine Telefonversuche durchführen wollte. Ich bekam die Hilfe und hatte den Rücken frei.
Als nächstes auf der Liste der zu versuchenden Anrufe war die Lufthansa. Dort hörte man mir wenigstens geduldig zu, aber es war trotzdem keine große Hilfe. Ich könnte zwar das Päckchen mit dem Medikament zur Lufthansa bringen, aber das müsste dann als VIC (very important cargo) deklariert werden, es wäre mit Kosten von mindestens DM 500.- verbunden. Ich müsste das Päckchen selbst nach Frankfurt bringen, von wo aus es dann weiterbefördert würde. Auch nicht sehr ermutigend. Wie geht ’s nun weiter??
Schließlich kam mir der Gedanke, meinen Dienst anzurufen. Dort erreichte ich Hans, den diensthabenden Wachleiter und gleichzeitig den Leiter meines eigenen Schichtteams. Er hörte sich geduldig meine Story an und sagte mir daraufhin:“ Jetzt setz’ dich hin und mach gar nichts mehr. Achte auf das Telefon. Ich werde sehen was ich tun kann, ich rufe dich, sobald es geht, zurück.“ So machte ich es dann.
Es dauerte vielleicht eine halbe Stunde. Während dieser Zeit meldete ich mich wieder auf der Kurzwelle und berichtete über die Entwicklungen. Schließlich klingelte das Telefon und Hans war dran. Er sagte mir: „Du setzt dich jetzt in dein Auto, fährst nach Karlsruhe und holst das Medikament aus der internationalen Apotheke. Die Dame ist informiert. Das nimmst du mit nach Hause. Du hast morgen dienstfrei. Du fährst in aller frühe nach Frankfurt zum Flughafen und meldest dich bei der Crew-Verwaltung der Lufthansa. Dort hinterlegst du das Päckchen für Kapitän soundso. Er fliegt morgen vormittag nach Belgrad, er muss dieses Päckchen mitnehmen und dort am Flughafen einer Verbindungsperson übergeben, die du mit den Partnern auf Kurzwelle noch ausmachen musst. Achte darauf, dass du eine Quittung bekommst, ebenso der Kapitän in Belgrad. Anschließend hast du frei, berichte mir dann im nächsten Dienst, wie es gelaufen ist!“ Ich war sprachlos!
So habe ich es dann durchgeführt. Ich meldete mich wieder auf Kurzwelle, informierte die Gruppe. Eine Verbindungsperson für Belgrad wurde ausgemacht. Dann fuhr ich nach Karlsruhe, die Dame gab mir tatsächlich da Medikament. Ich musste es bezahlen, ich meine es waren DM 50.- Am nächsten morgen ging es nach Frankfurt, das Päckchen wurde, wie vereinbart, übergeben. Und es hat tatsächlich Belgrad und das Mädchen erreicht!
Was war geschehen? Hans, als diensthabender Wachleiter von Rhein-Control hatte das SAR Center angerufen und die Sachlage geschildert. SAR hat dann die Lufthansa angerufen und sie aufgefordert, den Transport zu ermöglichen. Wenn SAR anruft, dann sagt offenbar jeder „… wird ausgeführt!“ SAR hat auch die Apotheke angerufen und später die Bestätigung veranlasst. So liefen alle Dinge urplötzlich wie geschmiert!
Unser örtlicher Amateurfunkverein hat die Kosten für das Medikament als Spende übernommen. Und eine Weile später erhielten wir ein Dankschreiben von dem Mädchen mit einem Bild. Sie ist wohl langsam von ihren Verletzungen genesen.
Und nun löst sich das Rätsel, wer die drei Musketiere waren: A A S = Air Traffic Control (Flugsicherung), Amateurfunk und SAR!
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