Hummel 7

Auf den meisten Flughäfen ist die Polizei mit einer Hubschrauberstaffel vertreten, so auch bei uns. Die Polizei residierte in der Halle 8, der LTU-Halle, am Ostrand des Flughafens. Die Helikopter trugen das Rufzeichen „Hummel“ gefolgt von einer Nummer.

Da die Polizeieinsätze der Hummeln nicht planbar waren, musste die Zusammenarbeit mit uns Besonders sein, was sie natürlich auch war. Von uns, dem Personal des Towers, wurde die Polizeikantine der Staffel besonders geschätzt. Es handelte sich eigentlich schon um ein gemütliches Kasino mit hervorragendem Futter zu guten Preisen.

Eines Tages, während eines Gespräches mit den „Bullen“ (ist hier liebevoll und respektvoll gemeint) in deren Kasino, fragte ich blauäugig, ob es wohl mal möglich wäre mit der Hummel mitzufliegen. Zu meinem Erstaunen war die Antwort: „Na klar, selbstverständlich!“

Das alles war, an einem herrlichen, sonnigen Sonntagmorgen, so um sechs Uhr dreißig, schon lange vergessen, als plötzlich von den „Bullen“ über Funk angefragt wurde, ob ich im Dienst war. Klar, ich war im Dienst, aber wie! Samstag war Party und ich noch nicht so richtig wach. Außerdem lag mir der Mitternachtssnack Marke Gulaschsuppe noch schwer im Magen.

An mir vorbei arrangierte der Towerchef mit dem Wachleiter in der Radarkontrolle, dass ich heute Hummel fliegen sollte. Im Prinzip klasse, Dienst im Hubschrauber, mal was anderes, mein Magen war nicht so richtig einverstanden, er wirkte etwas unschlüssig.

„Cleared to hover in front of the tower“ plärrte kurze Zeit später die Funke. Ende meiner internen Diskussion mit meinem Magen, ich musste runter. Hummel 7 war eine Alouette 3, vom Tower aus eher winzig, wurde, je näher ich kam, immer größer und vor allem, immer lauter. Die Crew, 2 Mann, waren sehr nett.

Was ich absolut nicht schnallte, war die Umkehrung der Verhältnisse zwischen Flugsicherung und Piloten der Staffel. Normal gaben wir die Anweisungen und die Jungs hatten sich dran zu halten. Jetzt hatten die einen von der anderen Seite an Bord und damit die Legitimation dem mal zu zeigen, was sie denn so drauf hatten. Außerdem wussten sie, dass jeder auf dem Tower wusste, dass ich an Bord war und dementsprechend jede Freigabe bekommen würden, die sie wollten.

Das nutzten sie schamlos aus und beantragten einen besonderen Luftraum nur für sich, um „Flugversuche“ durchzuführen. Da spätestens hätte es mir dämmern müssen, aber mein Magen meldete sich gerade beim Steigflug, so dass es mir entgangen ist.

In sehr freundlichem Ton fragte mich der Pilot, ob ich schon mal was von Autorotation gehört hätte. Hatte ich nicht, Gott sei Dank, denn schon den Gedanken daran hätte mein Magen nicht verkraftet.

Es ging los…

Der Helikopter stieg sehr hoch, die Jungs vorn nestelten an ihren Gurten.
Dann stellte der nette Pilot das Triebwerk ab!!!

Es wurde still.

Es passierte erstmal nichts. Dann begann sich der Heli langsam um seine Hochachse zu drehen. Erst war es wie Karusselfahren.

Dann wurde es immer schneller.
Die Fliehkraft nagelte zuerst meine Arme an meinen Körper. Dann begann ich mich langsam die Rückenlehne raufzuschieben. Als ich die Decke erreicht hatte, war ich absolut bewegungs- und orientierungslos.

Jetzt begriff ich, warum die beiden die Gurte festgezogen hatten, ich klebte wie eine tote Mücke, völlig hilflos, zwischen Decke und Lehne des Helikopters. Was ich noch wahrnahm, die Erde kam schnell näher
.
Wie durch ein Wunder startete das Triebwerk wieder und ich klatschte wie ein Sack in meinen Sitz. Mein Magen war Geschichte, nicht mehr vorhanden, ich war hellwach.

Nach, zugegeben, zynischen Fragen nach meinem Befinden, entspannte sich die Atmosphäre, anscheinend hatte ich bestanden, und der Flug verlief in geruhsameren Bahnen. Jetzt war Zeit für unseren Auftrag. Ölverschmutzung auf dem Rhein durch die Flussschiffer aufspüren. Diesen Auftrag nutzten die beiden vorn um ihren Spaß zu haben. Sie verbargen sich hinter den Pappelreihen am Ufer und warteten, bis ein Schiff auf gleicher Höhe war. Dann, mit Speed, über die Pappeln hinweg direkt auf das Schiff zu um neben der Brücke zu schweben.

Ölsünder Fehlanzeige, aber die beiden hatten es auf eine andere Situation abgesehen, die sie köstlich amüsierte, war aber auch komisch. Beim Sturz des Helis auf das Schiff zu stand eine dicke Frau am Steuer des Schiffes. Dann schlug eine Tür auf und ein dicker Mann rannte auf die Brücke, schubste die Frau weg und hupte eifrig mit dem Schiffshorn. Das war der Schiffsführer. Diese Szene deutete darauf hin, dass die Frau kein Patent hatte. Delikt, Führen eines Schiffes ohne Erlaubnis.

Auch der Lautsprecher am Heli erwies sich als sehr wirkungsvoll. Der Satz, der am besten kam, war: „Hier ist Angeln verboten!“ Völlig verdutze Gesichter blickten ruckartig nach oben und blieben dann zurück.

Gegen zehn Uhr meinten die beiden, es sei Zeit für das Frühstück. Wir flogen in den Duisburger Hafen und landeten neben einem Cafe mit Terrasse. Motor aus, Funke auf maximale Lautstärke und ab zum Frühstück.

Ein eigenartiges, fremdes Gefühl beschlich mich, als die Gäste uns genauer musterten. Die Gäste waren irgendwie, nicht beweisbar aber ohne Zweifel, alle schuldig, so wie sie uns ansahen. Die beiden Piloten waren sich ihrer Wirkung bewusst und sprachen freundlich mit den Leuten und brachen das Eis, sie entspannten und meine erste Vermutung löste sich in Wohlgefallen auf, keine Verbrecher, normale Leute. Was die Gäste von mir, dem schlecht gekleideten Zivilisten, hielten, blieb mir verborgen.

Kurz nach unserer Stärkung ließ sich das Funkgerät hören und wir rannten zum Heli. Zur Beruhigung, wir hatten schon bei der Bestellung bezahlt. Neuer Auftrag, eine Verfolgung.

Ab jetzt war ich abgemeldet, die beiden Piloten mussten sich auf drei verschiedenen Frequenzen mit den zuständigen Diensten absprechen.

In einer kurzen Funkpause baten sie mich die Kommunikation mit der Kripo zu übernehmen. Unser Auftrag war einen hellblauen Porsche auf der Autobahn ausfindig machen und die Polizeikräfte am Boden so zu lenken, dass der Porsche aufgehalten und der Fahrer festgenommen werden konnte. Der Fahrer war von einer Autobahnstreife als Gewaltverbrecher identifiziert worden und sie wollten ihn unbedingt stellen.

Für uns hieß das erstmal Höchstgeschwindigkeit. Nach zehn Minuten Flug hatten wir den Porsche gefunden, er fuhr mit sehr hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn Richtung Düsseldorf. Als er uns bemerkte vollführte er einen Angstschlenker und wurde noch schneller.

Ich war ständig damit beschäftigt die Position und die Richtung durchzugeben, das ist, wenn man nicht darin geübt ist, schwierig. Nach einer Weile hatte ich mich an den Ton und die Spezialausdrücke gewöhnt und es begann Spaß zu machen. Der Porsche raste jetzt in die Stadt und unser Pilot war gezwungen alle fliegerischen Register zu ziehen. Wir schossen so flach über die Häuserreihen, dass ich befürchtete eine Fernsehantenne würde uns runterholen.

Natürlich wusste der Porschefahrer jetzt, dass wir hinter ihm her waren und missachtete jetzt alle Verkehrsregeln. Ich dachte es wäre sicherer die Verfolgung aufzugeben, denn das Risiko andere zu gefährden erschien mir viel zu hoch. Aber die Kripo bestand auf der Verfolgung, der Mann musste wichtig sein, denn sie wollten ihn unbedingt. Also blieben wir dran.

So aus der Luft erschließt sich die Taktik der Polizei sehr gut, die Einsatzfahrzeuge werden in einem großen Ring angeordnet, der sich nach unseren Positionsmeldungen immer mehr zusammenzog. Damit schwanden die Möglichkeiten für den Delinquenten zu entwischen zusehends. Nahe einer Fabrikhalle schnappte dann die Falle zu, überall, in jeder Straße Polizeifahrzeuge, er hatte keine Chance mehr.

Nach fünfeinhalb Stunden setzte mich der Helikopter wieder vorm Tower ab. Man kann sich nach so einem Abenteuer ehrlich auf den Dienst im Tower freuen, man glaubt es nicht, aber es ist so.

Hummel 7