Natürlich wird die Bahn nicht gedreht, es wird nur die Anflug – und Abflugrichtung, entsprechend der Windverhältnisse, gewechselt. Stichwort Wind, ja, der Wind spielt in der Fliegerei immer noch eine entscheidende Rolle.
Als Passagier in einem Jet kann man das selbst erfahren. Nehmen wir einen Flug von Frankfurt nach Miami. Sie haben ihr tragbares GPS – Gerät ( Global Positioning System, kurz NAVI) dabei und messen auf dem Hinflug, über dem Atlantik ihre Geschwindigkeit. Ergebnis 630 Kilometer pro Stunde über Grund. Sie wundern sich, das Flugzeug fliegt doch mit über 800 km/h. Auf dem Rückflug, wieder über dem Atlantik, jetzt Richtung Osten, messen sie 970 km/h.
Wie kommt das?
Ganz einfach, das Flugzeug fliegt, im Verhältnis zur umgebenden Luft immer gleich schnell, so um die 800 km/h. Auf dem Weg in die USA kommt ihnen die Luft mit ca. 170 Km/h entgegen und bewirkt, dass sie über Grund langsamer sind. Zurück fliegen sie mit 800 Sachen in einer Luft, die sich mit 170 Sachen in ihre Richtung bewegt, daher sind sie schneller (über Grund).
Dieser Effekt wird auch bei An – und Abflug genutzt. Man startet und landet bevorzugt gegen den Wind. Erstens, weil das sicherer ist und zweitens spart man dabei sogar noch Treibstoff. Bei einem Start mit Rückenwind müsste das Flugzeug stärker beschleunigen als bei einem Start mit Gegenwind. Abhebegeschwindigkeit, sagen wir 120 Knoten, Rückenwind mit 10 Knoten, dann brauchen sie eine Abhebegeschwindigkeit von 130 Knoten. Bei dem gleichen Gegenwind, also 10 Knoten von vorn, wären es nur 110 Knoten Abhebegeschwindigkeit.
Es macht also durchaus Sinn, die Start – und Landerichtung dem Wind anzupassen. Daher ist auf dem Tower eines Airports der Wind ein wichtiger Faktor, der ständig im Spiel ist.Nun hat der Wind an einem Flughafen nicht die wünschenswerte Eigenschaft, von jetzt auf gleich, genau auf die andere Seite zu drehen. Nein, im Gegenteil, er macht, was er will. Somit ist es Aufgabe der Towercrew, genauer des Towerlotsen, er ist für An– und Abflüge zuständig, auf den Wind und seine Tendenz zu achten und bei Bedarf die Anflugrichtung zu ändern.
Tower Düsseldorf, ein schöner Tag, der Wind weht mit 15 Knoten aus West. Landungen Richtung West und Anflüge ebenso, so ist es meistens. Für die nächsten 20 Minuten ist vom Wetterdienst vorhergesagt, dass der Wind auf Nordwest drehen soll.
Das ist für Starts kein großes Problem, es wackelt halt nach dem Start ein wenig. Für Landungen sieht das schon anders aus, denn die halten die Nase bis kurz vor dem Aufsetzen in den Wind und drehen den Flieger dann in letzter Sekunde in Bahnrichtung und setzen auf. Für uns auf dem Tower ist das Klasse, denn wir haben was zu schauen. Es ist immer wieder interessant, sich solche Landungen mit Seitenwindkomponente anzusehen.
Der Wind dreht weiter, jetzt auf Nord. Seitenwind, spannend, denn jetzt müssen die Piloten zeigen, was sie drauf haben. Auf dem Tower gibt es für Seitenwind Vorgaben, ab welcher Stärke der Flughafen dicht gemacht werden muss. Da sind wir aber lange noch nicht in der Nähe.
Dreht der Wind jetzt allerdings weiter Richtung Ost, dann müssen wir die Bahn drehen. Natürlich dreht er weiter, Flugsicherung besteht halt daraus, mit all den Unwägbarkeiten umzugehen und trotzdem einen sicheren Flugverkehr zu gewährleisten.
Zu den Unwägbarkeiten heute gehört auch, es ist Rush hour, also hohes Verkehrsaufkommen. Der Towerlotse, der Feeder (Einfädler, ist für die Reihenfolge der Anflüge zuständig) und die zwei Approach – Lotsen (Anflugkontrolle, eine im Norden und eine im Süden) besprechen jetzt den richtigen Zeitpunkt der Drehung.
Meist kommt dabei der Satz raus, nach der Landung der KLM kannst du die Bahn drehen. Der Vorfeldlotse lässt ab jetzt die Flieger, die abfliegen wollen, zum Start zur neuen Bahn, Richtung Osten Westen rollen und reiht sie vor dem Holding Point auf (Holding Point, jeder Rollweg hat zur Bahn einen solchen, an dem zwingend angehalten werden muss, ein Befahren der Bahn ist nur mit der Freigabe des Towerlotsen möglich).
Der Feeder meldet die KLM bei 10 Meilen und schon meldet sie sich auch.
Tower: „KLM 83, Wind 050 mit 15, frei zur Landung Bahn 24.“
Um das Folgende zu verstehen, muss man sich mit Geschwindigkeit auskennen. Jeder kennt die Situation, man kachelt mit 130 km/h auf der Autobahn und sieht plötzlich ein 80er Schild. Was macht man?
Die einen nehmen den Fuß vom Gas und lassen den Karren bis auf 80 km/h runterkommen. Sie nehmen dabei in Kauf nach dem 80er Schild noch zu schnell zu sein, dienen aber dem Verkehrsfluss, weil es fast alle so machen. Es gibt aber auch die, die am Schild stark runterbremsen und so die Beschränkung einhalten.
Diese beiden Arten gibt es auch im Flugverkehr. Auch hier gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen, die einzuhalten sind (werden sollten). Im Anflug ist es die Beschränkung auf 250 Kts unter 10000 Fuß, ca. 3000 Meter, dann minimum Clean (die Geschwindigkeit, die ein Flugzeug noch sicher fliegen kann, ohne Landeklappen auszufahren) und dann natürlich Geschwindigkeitsbeschränkungen vom Lotsen, um die Staffelung zu gewährleisten.
In der Flugsicherung rächen sich auch kleine Fehler, meist spät, aber sie rächen sich. Bei der Festlegung, nach der KLM die Bahn zu drehen, war der Spielraum zu kurz gewählt worden. Die Lufthansa A310, die sich jetzt bei 10 Meilen Anflug auf die Bahn Richtung Osten meldete, war viel zu früh.
Die KLM war, was wir eine Scharchnase nennen, sie war überkorrekt und viel zu flott langsam geworden, kurz, sie brauchte noch ne Weile bis zur Landung.
Die Situation war, sorry, Scheiße. Die KLM flog auf die Westbahn an, die A310 auf die Ostbahn, voraussichtlicher Crash-Punkt war Ende der Westbahn. Diese Konstellation nennt man in Towerkreisen „Doppeldecker“.
Die Lösung ist nicht so schwer, man lässt den A310 einen Overshoot ( Landeabbruch, Durchstarten) machen mit einer scharfen Kurve nach links, aber eben auch nicht sicher. Die KLM könnte durch irgendeinen Umstand auch durchstarten müssen, was dann zu einem Near miss Beinahezusammenstoß) oder schlimmeren führen würde.
In unserem Fall ging es noch mal gut, die A310 heizte über die Klinik und die KLM landete sicher.
Umgehend meldete sich das Außentelefon und Schwester Agate vom Krankenhaus war dran um sich über die enorme, nicht hinnehmbare Lärmbelästigung zu beschweren.
Dieses Telefonat, was zugegeben ab und an mal geführt werden musste, war für alle hier oben die Höchststrafe, denn Schwester Agate hatte immer Recht. Sie faltete uns, Könige des Airports, so massiv zusammen, dass wir danach unter dem Teppich hätten Fahrrad fahren können.
Für unser Selbstwertgefühl eine Katastrophe.
Ich habe das (zweifelhafte) Vergnügen gehabt Schwester Agate mal persönlich kennenzulernen, sie war eine tolle Frau, die das Wohl ihrer Patienten im Auge hatte. Als ich ihr erklärte, dass wir auch das Wohl unserer Kunden im Auge hatten, entspannte sie sich zunehmend und die folgenden Anrufe verliefen weniger demütigend.